Agile? Auf die innere Haltung kommt es an

27.11.2019

Was erhoffen sich Unternehmen davon, wenn sie agile Strukturen einführen wollen? Rike Ullenbaum berichtet im Gespräch mit Bartosz Czaja von ihren Erfahrungen in Kundenprojekten, die sie als Design Thinking Coach und Agile Expertin begleitet hat. Welche Voraussetzungen sollten gegeben sein und was sind die passende Motivation und innere Haltung, um erfolgreich agile Methoden in Organisationen einführen zu können? Denn richtig angegangen, sorgen agile Methoden für mehr Produktivität und leicht gängige Prozesse.

Rike, agile Methoden sind für dich...

...ein Mittel, um die Komplexität in der Arbeitswelt zu bewältigen. Vielleicht auch ein Mittel, um Burnout zu reduzieren – aber das wohl eher mit Humor gesehen. Nein, agile Methoden sind eine Möglichkeit, um eine angenehmere Arbeitswelt zu schaffen und Aufgaben smoother, zügiger und auch mit mehr Gelassenheit zu erledigen.

Wie David Agert in einem anderen Blog-Artikel bereits ausgeführt hat, ist Agilität für sich erstmal kein Allheilmittel. Agilität muss zum Unternehmen und dem jeweiligen Business-Problem passen.

Stimmt, das Unternehmen muss eine gewisse Reife in der Führungspraxis haben. In der Führungspraxis zeigen sich die mentalen Modelle und das, was in der Organisation als unsichtbare Themen vorliegt, Narrative, Denkmuster und die Kultur.

Und es muss eine Offenheit für solche Themen herrschen sowie Changereife. Hierfür haben sich in der Change Fitness Studie 2018 viele Unternehmer selbst eher schlechte Noten gegeben. Daran muss man im Vorfeld viel, viel stärker arbeiten und dann gucken, ob das passt. Die Führungspersönlichkeiten müssen da abgeholt werden. Das sind Faktoren, die sehr stark zusammenspielen.

Es macht auch sicher Sinn, im Vorhinein zu analysieren wie diese Faktoren zusammenwirken. Häufig spricht man hierbei von soften Faktoren, aber ist das die ganze Wahrheit?

Ja, das Wort softe Faktoren an der Stelle blendet einige Dinge aus. Ich glaube, dass es eben nicht nur softe Faktoren sind, aber diese sind ganz stark entscheidend. Ebenso wichtig sind aber auch die Prozesse, die Steuerungselemente und die vorhandenen Ressourcen im Unternehmen. Und die Frage wie viel Freiraum eingeräumt wird.

Ich habe mir den State of Agile Report 2019 angeschaut und dort verglichen, warum Unternehmen auf agile Methoden setzen. Die Ergebnisse lauten:

  • 74% um die Produktauslieferung zu beschleunigen
  • 62% um die Fähigkeit zu erhöhen, auf veränderte Prioritäten zu reagieren
  • 51% um die Produktivität zu erhöhen
  • 43% um die Softwarequalität zu erhöhen
  • 43% um die Vorhersagbarkeit von Lieferungen zu erhöhen
  • und 43% um die Abstimmung zwischen Fachbereichen und IT zu verbessern.

Mich würde es interessieren, welche Erfahrungen Du denn damit gesammelt hast. Warum setzen deiner Meinung nach Organisationen agile Methoden ein?

Es ist so, dass unsere Kunden echten Druck durch ein Business-Problem haben. Vielleicht sogar an der Existenzfrage arbeiten. Wenn ich nun auf diese Ergebnisse gucke, ist „Produktauslieferung beschleunigen“ immer ein Punkt, jedoch in vielen Fällen nicht der wichtigste bzw. dringendste Punkt. Die Produktivität zu erhöhen ist natürlich immer ganz, ganz wichtig. Oft erkennen aber die Unternehmen im Tun, das der eigentlich wichtigste Punkt ist, dass man auf die geänderten Prioritäten reagiert. Und das lese ich hier nicht unbedingt raus.

Die Unternehmen wollen einen Weg finden, um Innovationen, also wirklich zukunftsfähige Produkte oder Dienstleistungen, an den Kunden zu bringen. Und diese Innovationen sollen produktiv entwickelt, zügig in der Durchflussgeschwindigkeit in das Unternehmen implementiert und die Mitarbeitenden dabei mitgenommen werden. Das kann so weit gehen, dass die Organisationsstruktur umgebaut bzw. an die sich schnell verändernden Faktoren angepasst werden muss, wenn die Unternehmen merken, dass die aktuelle Organisationsstruktur den Anforderungen des Marktes nicht gewachsen ist oder dass ganze Märkte verschwinden. Unternehmen erkennen dann oft, okay, da muss ich anders denken und versprechen sich auch von Agilität Hilfe.

Du hast soeben angesprochen, dass Unternehmen auch eine gewisse Reife benötigen, um eine gewisse Change Fitness zu haben. Offen für Neues zu sein, über seinen Schatten zu springen und zu sagen „Strukturen, die wir seit Ewigkeiten haben, müssen aufgelöst und an die Anforderungen der VUCA-Welt angepasst werden“. Welche Benefits bieten agile Methoden?

Wenn man es tatsächlich übergreifend in der Organisation und nicht nur in einzelnen Ableitungen oder Teams schafft, agile Methoden zu implementieren, dann ist der Benefit definitiv die Durchlaufgeschwindigkeit zu erhöhen. Denn agile Methoden passend zum Business Problem zeigen ganz schnell Flaschenhälse und Engpässe in einem Unternehmen auf. Diese gilt es zu identifizieren und in wertschätzender Art und Weise sichtbar zu machen. Mit wertschätzend meine ich, nicht nach Schuldigen zu suchen, wie „Herr XY oder Abteilung XY sind zu langsam, zu faul, zu dumm“, sondern wirklich zu gucken, wo zwingt die Struktur und Funktionsweise der Organisation zu gewissen Engpässen. Oft ist es die Organisation, die den Durchlauf verhindert, die Art wie sich das System selbst gestrickt hat, das ist oft das eigentliche Problem. Ist das identifiziert, kann man schnell Abhilfe schaffen, den Engpass relativ einfach erweitern und die Durchlaufgeschwindigkeit erhöhen.

Bei Agilität ist das Pull-Prinzip entscheidend. Anstatt die Aufgaben über das Push-Prinzip in die Organisation reinzugeben, sollen sich die Abteilungen bzw. die Teams oder auch Einzelpersonen die Aufgaben ziehen. Das reduziert den Waste sehr stark und die in der Warteschleife liegenden Themen werden ebenfalls reduziert, wodurch es einen viel höheren Durchfluss bei den Themen gibt, die im System sind. Oft sind dann weniger Dinge im System, aber gerade die laufen schneller durch und werden schneller dem Kunden als Inkrement oder fertiges Produkt geliefert. Somit hat der Kunde einen schnelleren Benefit, zahlt früher Geld und alles geht flüssiger.

Also der Fluss wird optimiert und die Verschwendung vermieden.

Ja, genau. Die Verschwendung wird damit auch reduziert. Vielleicht nicht vermieden, aber auf alle Fälle reduziert. Der agilen Arbeitsweise liegt eine bestimmte Haltung zugrunde. Und zwar die Haltung, dass der Mensch immer das Beste tut, zu dem er gerade fähig ist. Wenn man diese Haltung verstärkt bei den Führungskräften und innerhalb von Teams untereinander transportiert und durch eine entsprechende Arbeitsweise sichtbar macht, dann wird sich die Zufriedenheit bei den Arbeitsnehmenden deutlich erhöhen. Ich glaube tatsächlich, dass das ein Weg ist, um ein zufriedeneres und besseres Miteinander zu schaffen und um Themen zu lösen.

Unsere aktuellen Herausforderungen im Job werden komplexer, weil die einfachen Sachen zunehmend von Computern und digitalen Systemen übernommen werden. Wir haben in der Vergangenheit gelernt, dass dadurch keine Arbeitsplätze wegfallen, sondern andere Arbeitsplätze entstehen. Die menschliche Kreativität ist da unerlässlich. Arbeitsplätze, bei denen keine menschliche Kreativität erfordert wird, werden in Zukunft von der KI übernommen. An dieser Stelle sind die agilen Methoden diejenigen, die uns helfen können eine gewisse Grundsicherheit in dieser volatilen, anspruchsvollen, komplexen und Arbeitswelt zu schaffen. Agile Methoden strukturieren sehr stark diese doch sehr schwer strukturierbaren Themen.

Du hast gerade kurz angesprochen, dass insbesondere die Teams eine wichtige Rolle spielen. Wie arbeiten agile Teams?

Es kommt natürlich immer auf die Methode an die angewendet wird. Z.B kann man bei manchen Themen eine Scrum-Umgebung mit regelmäßigen Meetingstrukturen einführen, in der Aufgaben so klein wie möglich in Pakete gebündelt werden, um innerhalb von ganz unterschiedlich langen Sprints Inkremente daraus schaffen zu können. Innerhalb der Sprints findet ein stark strukturierter Meetingablauf statt, mit dem immer wieder sehr stark über Retrospektiven geschaut wird. Mit Fragen wie: Arbeiten wir noch an dem Richtigen in der kurzen Iteration, sind wir noch an dem Wunsch des Kunden dran, was an unserer Arbeitsweise läuft gut, was nicht so gut und was können wir verbessern, was müssen wir weglassen und was verstärken? Weil die Teams damit sprachfähig gemacht werden, kommen nach kurzer Zeit Dinge zu Tage, die das Arbeiten an sich lahm legen. Und darüber dann oft auch neue Aufgaben, die erledigt werden müssen und die bisher eher nur unterschwellig geschlummert haben. Es wird ein tägliches Abarbeiten von kleinen machbaren Aufgaben möglich. Also man fängt einfach da an, wo man gerade steht und verhindert dadurch den „Ich-sehe-den-Wald-vor-lauter-Bäumen-nicht-Effekt“. Das Ganze ist völlig transparent. Zugegebenermaßen ist das für viele, die das nicht gewohnt sind, ein beängstigendes Thema. Die Transparenz zeigt wiederum die Engstellen auf und hilft sie auch passend zu bearbeiten. Gleichzeitig fördert die Transparenz zu Tage, ob man sich mit Selbstoptimierung beschäftigt und quasi die Aufgabe um der Aufgabe willen macht, oder ob man wirklich an einem Mehrwert für den Kunden arbeitet. Darauf richtet sich die agile Methode extrem aus. Das ganze Handeln ist immer an dem Mehrwert für den Kunden ausgerichtet. Und das bringt den Erfolg und auch den Spaß. Wenn wir einen zufriedenen Kunden haben, dann sind wir schließlich auch zufrieden.

Was wirklich wichtig ist, ist, dass die Führungskräfte Mut zu solchen neuen und passenden Wegen aufbringen. Es müssen nicht immer Agilität, Scrum oder Design Thinking sein. Ich würde mir wünschen, dass Führungskräfte annehmen, dass sie in dieser komplexen Arbeitswelt nicht mehr alles alleine regeln müssen…

… und auch nicht können …

Genau. Sondern dass sich Teams aufbauen können, die mit welcher Hilfe auch immer, die Probleme lösen und das Schwarmwissen nutzen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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