Wertschätzende Kommunikation statt Meckerkultur

12.11.2019

Werner Schumann, systemischer Organisationsberater, begleitet seit zwei Jahren eine Resonanzgruppe in einem Unternehmen mit rund 200 Mitarbeitern. Im Interview mit Fabian Ceska berichtet er von seinen Erfahrungen dort, den Schwierigkeiten zu Beginn und den positiven Entwicklungen, die sich in dieser speziellen Form des Austausches und der Zusammenarbeit vollzogen haben.

Kannst du einen kurzen Überblick darüber geben, was eine Resonanzgruppe ist und wie sie aufgebaut ist?

Eine Resonanzgruppe ist eine Organisation im Kleinformat, die einen repräsentativen Querschnitt durch die gesamte Organisation darstellt. Als Matrixstruktur bilden sich in der Gruppe die hierarchischen Strukturen genauso ab wie die funktionalen Strukturen. Es wird somit die Führungstiefe ebenso abgebildet, wie eben auch der operative Aufbau (z. B. der Einkauf, die Produktion etc.). Idealerweise ist jedes Element der Organisation in der Resonanzgruppe durch eine Person vertreten. Dies ist in der Praxis bisweilen etwas schwierig umzusetzen.

Eine Resonanzgruppe spiegelt somit aufgrund ihrer Zusammensetzung sowohl die Interessenvielfalt in einer Organisation als auch die typischen Denk-, Verstehens- und Verhaltensmuster ihrer Mitglieder wider, weshalb sie auch ein Indikator dafür ist: Wie reagiert die gesamte Organisation, wenn sie mit einer bestimmten Heraus- oder Anforderung konfrontiert wird?

Aktuell betreust du ja eine Resonanzgruppe in einem Unternehmen. Wie groß ist diese und wie oft trefft ihr euch?

In dieser Resonanzgruppe sind 12 Personen aus einem Kontext von rund 200 Mitarbeitenden vorzufinden. Damit repräsentieren mind. 5 % der Organisation die weiteren 95 %. In diesem Fall ist es tatsächlich so, dass jede Hierarchieebene und jedes Funktionselement abgebildet ist.

Wir haben verabredet, dass wir uns alle fünf Wochen treffen. Resonanzgruppen treffen sich gerne monatlich, da wir aber auch Schichtpersonal mit an Bord haben und wir darauf Rücksicht nehmen, ergibt sich ein Fünf-Wochen-Rhythmus. Der Schichtdienst ist eben auch ein Teil der funktionalen und der hierarchischen Struktur. Wir treffen uns also rund zehnmal im Jahr.

Ihr trefft euch jetzt seit fast zwei Jahren. Welche Herausforderungen gab es denn am Anfang der Zusammenarbeit?

Exakt, diese Resonanzgruppe befindet sich jetzt gegen Ende des 2. Jahres. Wir haben den Kollegen damals schon bei der Etablierung der Resonanzgruppe empfohlen, sich einen Zeitraum von mehreren Jahren vorzunehmen. Drei bis fünf Jahre sind nicht unrealistisch.

Die größte Herausforderung ist das Selbstverständnis, mit dem man eine solche Resonanzgruppe gründet, denn es geht im Grundsatz um Veränderungsprozesse. Letztendlich geht es dabei immer auch um Kulturveränderungen und damit auch um Veränderung von Kommunikationsmustern. Und das hat seine Zeit gebraucht, den Personen klarzumachen, dass das Thema Offenheit und transparente Kommunikation miteinander der Schlüssel ist. Man könnte auch sagen, die Etablierung eines idealisierten Feedbackverhaltens, was es bis zum heutigen Zeitpunkt in der Organisation nicht optimal bzw. nicht durchgängig gibt.

Die Resonanzgruppe hat das als eines der wesentlichen Elemente wahrgenommen, aber zu Anfang war es schon ungewöhnlich für die Teilnehmer, transparent und offen über Themen zu diskutieren. Das hat ganz banale Gründe. Zum einen dadurch, dass die gesamte Hierarchie vertreten ist. Damit ist z. B. auch der Chef eines Mitarbeiters in der Resonanzgruppe vertreten. Da sind dann auch schon mal dominante und imposante Persönlichkeiten dabei. Die müssen dann lernen, sich etwas zurückzunehmen und die anderen müssen lernen, mutig auch Dinge anzusprechen, die sie sich üblicherweise nicht trauen würden zu sagen. Das Thema Offenheit, das Thema bestmögliches Feedbackverhalten untereinander, das braucht einfach Zeit.

Im genannten Beispiel ist ein Schwerpunktthema, dass die Organisation auch ein Vertrauensproblem untereinander hat, und offen kommunizieren heißt eben auch vertrauensvoll kommunizieren. Das war und ist die größte Herausforderung.

Das sind große Themen: Kommunikationsverhalten neu lernen, Rollenbilder neu verstehen … Kannst du ein Anfangsproblem herauspicken und erklären, mithilfe welcher Tools ihr dieses Problem gelöst habt?

Wir haben von Beginn an versucht, den Teilnehmenden systemische Logik verständlich zu machen, dass es wichtig ist, die ‚Themen hinter den Themen‘ zu finden. Bevor man überhaupt über Veränderungen und Maßnahmen reden kann, muss erst einmal erkannt werden, was passiert hier eigentlich. Wir waren anfänglich also erst einmal rein analytisch unterwegs. Damit das nicht so akademisch wirkt, haben wir einen sehr großen Wert darauf gelegt, dass man sich wechselseitig Alltagsgeschichten und Narrative erzählt, an denen wir dann gemeinsam versucht haben, mentale Modelle und kollektive Muster zu erkennen, um dann im nächsten Schritt zu schauen, was wir daran verbessern können.

Gibt es für dieses Thema hinter dem Thema vielleicht ein plakatives Beispiel, welches du nennen könntest?

Ein Thema, das bis heute immer wieder auftaucht: Die Organisation geht ausgesprochen kritisch mit Inhalten und Informationen um, was dazu führt, dass jede Information sofort im höchsten Maße interpretiert wird. Und zwar in einer Form, dass man nicht in die Reflexion geht. Es wird also nicht hinterfragt „Wie hast du das gemeint? Habe ich das richtig verstanden?“, sondern man interpretiert frei und das führt durchaus zu beliebigen Fehlinterpretationen und damit zum Bedienen alter Muster. In der Organisation führt das gerne dazu, dass man lieber im Rücken der Organisation rummeckert, wir nennen das „Flur-Funk“, anstatt, dass man Themen, die man vermeintlich nicht verstanden hat, einfach direkt hinterfragt.

Dieses Verhalten führt bis heute dazu, dass gut gemeinte Inhalte beliebig falsch interpretiert werden. Vielleicht will man sie auch falsch sehen, weil man dieses Muster „rumzumoppern“ gerne bedient. Diesbezüglich ist die Resonanzgruppe weiter, da sie letztendlich auch in die Organisation zurückspiegelt bzw. zurückräsoniert und aus ihrem eigenen gelernten Verhalten vorgibt „wenn du etwas nicht verstehst, dann meckere nicht rum, sondern hinterfrage es“.

Gibt es denn auch direkte Resultate, bzw. „Quick Wins“, durch die du gleich gemerkt hast, diese Resonanzgruppe bringt es voll?

Ja, die „Quick Wins“ waren durchaus gegeben. Wir als Berater haben Vorschläge unterbreitet. Das waren Dinge wie: „Wenn ihr Themen nicht versteht, dann hinterfragt ihr sie gerne auch die Hierarchie rauf! Ihr vermeidet damit wildes Interpretieren oder Philosophieren im Kollegenkreis, wie es denn nun gemeint sein könnte, sondern geht an denjenigen, der die Information geliefert hat direkt ran und holt aktives Feedback ein.“ Nach anfänglichen Gehversuchen ist das bei der Resonanzgruppe nun Alltag. Die hinterfragen regelmäßig die vermeintlich unklaren Dinge. Das hat sehr schnell dazu geführt, dass sie meinten, sie verstehen gar nicht, wieso sie das nicht schon von Anfang an so gemacht haben. Das ist nun ein für sie alltäglich gelebtes Element - die Resonanzgruppen-Mitglieder können es schon.

Wieso würdest du es als ein „Win“ bezeichnen, dass man Autoritäten in Frage stellt und auch Hierarchien nicht fraglos annimmt?

Ja, das ist die falsche Interpretation. Es geht gar nicht um das Infragestellen von Autoritäten oder Hierarchien. Es bleibt natürlich die Hierarchie und es bleibt auch die Führungsorganisation, die wird dabei nicht ausgehebelt. Viel entscheidender ist, dass die alt eingefahrenen Kommunikationsmuster aufgelöst werden. Das man bereit ist, tatsächlich auch hierarchieübergreifend Fragen zu stellen. Gegebenenfalls die Themen auch zu hinterfragen. Und sowohl Feedback zu geben, als vor allem auch Feedback einzufordern. Wenn man selber auch nicht mehr weiter weiß, bringt es nichts, irgendwas zu machen wovon man glaubt, dass das so gemeint sein könnte, um sich dann später, wenn es ganz mies läuft, die Ohrfeigen abzuholen. Der Unterschied ist, dass man besser kommuniziert und sich besser untereinander austauscht, weniger, dass man Hierarchien infrage stellt. Das führt allerdings dazu, dass letztendlich auch die Hierarchie, die von oben kommt, das lernen muss.

Ein Negativbeispiel aus der Organisation: Ein Mitarbeiter einer tiefen Ebene hatte sich beim Abteilungsleiter ein Feedback eingeholt und dieser Mitarbeiter ist allein aufgrund der Tatsache, dass er hinterfragt hat, ziemlich gefaltet worden. Das führte natürlich dazu, dass dieser Mitarbeiter mitteilte, „Ich werde nie mehr zum Abteilungsleiter gehen und ihn irgend etwas fragen“. Das spiegelt gewiß das alte Muster wider und hier war der Fehler, dass der Hierarch es in dem Falle gar nicht zugelassen hat, zuzuhören, sondern selbst wieder frei interpretiert hat. Beiden hat er damit keinen Raum gelassen, zu lernen. Da merkt man, da ist doch noch Luft nach oben. Die Resonanzgruppe selbst ist da weiter.

Ist es ein langfristiges Ziel in dieser Resonanzgruppe alles sprachfähig zu machen? Oder gibt es noch andere langfristige Ziele?

Aktiv sind wir daran, dass sehr gute Feedback-Verhalten der Resonanzgruppe in die Organisation hinein zu spiegeln. Dazu wird es auch Maßnahmen, also einen Aktionsplan geben, wie man das machen kann. Dazu werden Maßnahmen in die Organisation „hineingespielt“, die dann Feedbackverhalten erlernbar und erlebbar machen. Des Weiteren sind auch Themen wie Konfliktfähigkeit, Wertschätzung sowie verbessertes Kommunikationsverhalten und gemeinsames Lernen auf dem Programm.

Kannst du ein spielerisches Beispiel nennen und beschreiben?

Zum Beispiel das Thema Wertschätzung: Dazu wird eine Postkarte in der Organisation verteilt. Auf der Vorderseite steht eine gemeingültige Definition, was ist Wertschätzung, aber mit der Frage „Was ist denn für dich Wertschätzung?“. Auf der Rückseite stehen dann weitere Fragen: „Wie erlebst du Wertschätzung in der Organisation?“, „Wer gibt dir Wertschätzung in der Organisation?“, „Wem gibst du Wertschätzung und was macht das mit dir?“. Ziel ist es, dieses Thema in der Organisation anzusprechen. Die Ergebnisse dieser Postkarten-Aktion werden ausgewertet und in einer Mitarbeiter-Versammlung präsentiert. Damit hat man es dann in der gesamten Organisation als Reflektor sprachfähig gemacht.

Wie wurde die Resonanzgruppe in der Organisation aufgenommen? Hat es direkt funktioniert oder gab es erstmal Wiederstände?

Die Resonanzgruppe wird bis heute, also nach zwei Jahren, in einzelnen Teilen der Organisation immer noch kritisch gesehen. Einige in der Organisation titulieren die Resonanzgruppe als „Kaffeetrink-Veranstaltung“, die sich alle fünf Wochen für einen halben Tag zusammensetzt und Spaß miteinander hat, aber nichts unmittelbar für die Organisation liefert. Dies bedient wieder das Muster, was ich soeben beschrieben habe. Es wird so interpretiert: „Ihr (die Resonanzgruppen-Mitglieder) geht aus dem eigentlichen operativen Kontext raus und jemand anderes aus der Organisation muss dann den Job für euch mitmachen.“ Das ist schon besser geworden, aber das war am Anfang das größte Thema. Was ist eine Resonanzgruppe überhaupt und was soll das bringen? Man tut also gut daran, dies zu Beginn erstmal in der Gesamtorganisation vorzustellen. Das ist zwar gemacht worden, aber nur in abstrakter Form, als Folienpräsentation in einer Mitarbeiter-Versammlung. Ich hätte es im Nachhinein besser gefunden, wenn man es persönlich vorgestellt hätte und die Resonanzgruppen-Mitglieder selbst erzählt hätten, was sie sich davon versprechen usw. Das hätte die Sache für die Organisation anschlussfähiger gemacht.

Was macht dir am Format der Resonanzgruppe als Berater und als Privatperson am meisten Spaß?

Nach wie vor das Feedback der Mitwirkenden. Hätte man das von Anfang an auf Video aufgezeichnet, wie die Dinge bei den ersten Malen abgelaufen sind und wie sie jetzt ablaufen, dann würde man sehen, wie sich die Mitglieder der Resonanzgruppe im Laufe des Prozesses professionalisiert haben.

Es wurde ausgesprochen klar erkannt, wo die wirklichen Probleme der Organisation sind: Feedbackkultur, Wertschätzung und Konfliktlösungskompetenz, aber auch grundsätzliche Formen der Kommunikation, ausnahmslos Themen, die stark ineinandergreifen. Über diese vier Themen macht sich die Resonanzgruppe immer wieder Gedanken, neben der Tatsache, dass sie selbst auch als Vorbild für die Organisation dient.

Seit einiger Zeit haben die Teilnehmer der Resonanzgruppe ein völlig eigenes Format entwickelt, dass sie Prozess-Café nennen. Ausgehend von der gewonnenen Erkenntnis, dass die Entwicklung der Organisation ein Prozess ist und kein singuläres „Big-Bang-Ereignis“. Das ist deshalb wichtig, weil die Organisation es gewohnt ist, mit Projekten und den damit einhergehenden finalen Ergebnissen umzugehen.

Immer zwei Tage nach der tagenden Resonanzgruppe findet jetzt das Prozess-Café an vier Standorten im Unternehmen statt. Die Teilnehmer der Resonanzgruppe verteilen sich auf diese vier Standorte und berichten dann bei Kaffee und sonstigen Getränken über den letzten Stand der Arbeiten aus der Resonanzgruppe. Jeder der Lust hat, ist aufgefordert in das Prozess-Café zu kommen. So gibt die Resonanzgruppe ihre Informationen und Inhalte über die Prozess-Cafés in die Organisation weiter. Das wird inzwischen sehr gut angenommen, die Organisation ist willig im „Café-Kontext“ unterwegs und holt sich aktiv die Informationen. Das tut der Organisation gut. Und dieses Format ist komplett von innen heraus entstanden und wird eigenständig durchgeführt, da sind wir Berater komplett außen vor.

Und genau darum geht es auch: Dass Lösungen selbst gefunden werden. Diese sind dann erfahrungsgemäß sehr viel nachhaltiger, weil die Organisation mehrheitlich dahintersteht. Reine Appelle von Oben oder von Beratern würden dabei nur allzu gerne ungehört verpuffen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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