Das Konzept der lernenden Organisation

18.06.2020

Die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen stellen Organisationen aller Branchen vor bislang unbekannte Probleme, für die es kein wirksames historisches Vor- bzw. Erfahrungswissen gibt. Im Hinblick auf die neuen Herausforderungen - Stichwort VUKA und aktuell vor allem die Corona-Krise - verlieren alte Antworten ihre Gültigkeit. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, mussten sich Organisationen schon immer den permanenten Einwirkungen durch Umwelteinflüsse anpassen. Doch dieser Transformationsdruck steigt schon seit einiger Zeit an, wie aktuell ganz deutlich zu spüren ist. Die Beschäftigung mit organisationalem Lernen erfährt daher in der heutigen Zeit besondere Beachtung, denn Wissen ist mehr denn je ein organisationaler Erfolgsfaktor.

Auch bei PRAXISFELD spielt das Konzept des organisationalen Lernens eine wichtige Rolle und steht häufig implizit im Mittelpunkt unserer Beratungsprojekte. Wir selbst sehen uns als eine lernende Organisation, die sich durch eine offene Fehlerkultur und eine iterative Arbeitsweise immer wieder weiterentwickelt und an die vorhandenen Gegebenheiten anpasst, um erfolgreich zu sein. In den letzten Monaten der Homeoffice-Zeit stand insbesondere das gemeinsame Lernen im Team und in Kooperation mit unseren Kunden im Vordergrund. Entscheidend ist dabei, dass nicht nur die einzelnen Mitarbeiter*innen für sich lernen, sondern dass das individuelle Wissen in ein organisationales Wissen umgewandelt und allen gegenwärtigen und zukünftigen Organisationsmitgliedern zugänglich gemacht wird.

Die lernende Organisation

Der Managment-Experte Peter M. Senge hat bereits Anfang der 90er Jahre das Konzept der lernenden Organisation vorgestellt. Er beschreibt fünf Kerndisziplinen, die eine Organisation benötigt, um organisationales Lernen einführen und aufrecht erhalten zu können – immer mit dem Ziel, die Organisation zukunftsfähig aufzustellen.

Senge formuliert lernende Organisationen als jene, „in denen die Menschen kontinuierlich die Fähigkeiten entfalten, ihre wahren Ziele zu verwirklichen, in denen neue Denkformen gefördert und gemeinsame Hoffnungen freigesetzt werden und in denen Menschen lernen, miteinander zu lernen“. Es geht also um lernfähige soziale Systeme, die relativ offen und dynamisch sowie selbstorganisierend und strukturdeterminiert sind und sich adaptiv an die Umweltveränderungen anpassen können.

Für der Gestaltung einer lernenden Organisation benötigt die Organisation ausgeprägte Kenntnisse und Fähigkeit über die vier Kerndisziplinen Personal Mastery, mentale Modelle, gemeinsame Vision und Team-Lernen. Die fünfte Disziplin stellt das Systemdenken dar, welche als eine integrative Disziplin eine Verknüpfung zwischen den einzelnen Disziplinen bildet und als die Kunst beschrieben wird, gleichzeitig den Wald und die Bäume zu sehen.

Systemisches Denken als Herzstück der lernenden Organisation

Die Aufgabe des Systemdenkens liegt in der Aufdeckung des Zusammenwirkens, der Kombination und der Synergien der weiteren Disziplinen auf das ganze organisationale System. Es geht dabei um eine ganzheitliche Betrachtungsweise, die eine isolierte Wahrnehmung der einzelnen Disziplinen verhindert. Senge beschreibt das Systemdenken als ein „konzeptuelles Rahmenwerk, ein Set von Informationen und Instrumenten [...] damit wir die übergreifenden Muster klarer erkennen und besser begreifen, wie wir sie erfolgreich verändern können“.

Diese integrative Disziplin fördert alle weiteren Disziplinen und bietet gleichzeitig die Voraussetzung für die erfolgreiche Implementierung organisationaler Lernprozesse durch Personal Mastery, die gemeinsam entwickelte Vision, die mentalen Modelle und das Team-Lernen. Senge plädiert darauf, dass die systemische Betrachtung des Systemdenkens das eigentliche Herzstück einer lernen Organisation ist.

Die 4 Kerndisziplinen: Personal Mastery, gemeinsame Vision, mentale Modelle und Team-Lernen

Kommen wir zu den vier anderen Kerndisziplinen, die eine lernende Organisation ausmachen:

Mit Personal Mastery beschreibt Senge die „Disziplin der Selbstführung und Persönlichkeitsentwicklung“, die auf Fachwissen und Kompetenzen aufbaut, jedoch nicht mit ihnen gleichgesetzt werden kann und darüber hinaus geht. Die Disziplin der Personal Mastery umfasst einen lebenslangen Lernprozess an den persönlichen Zielen und Visionen, persönliches Wachstum und eine kreative Lebensauffassung.

Mitarbeitende mit einer hohen Ausprägung der Personal Mastery werden beschrieben als lernfähige und engagierte Personen, mit einem hohen Commitment für die Organisation und ihre Arbeit. Sie ergreifen die Initiative und lernen schnell. Diese Mitarbeiter*innen sind der Grundstein einer lernenden Organisation.

Die Disziplin des Team-Lernens charakterisiert wiederum, dass in funktionsübergreifenden und heterogenen Teams und Gruppen eine andere Qualität des Wissens entwickelt wird, die über das individuelle Wissen hinausgeht. Es werden komplementäre Kompetenzen innerhalb der Gruppe entwickelt und es entsteht ein kollektiver Intelligenzquotient, der nicht der Summe der individuellen Intelligenzquotienten der Gruppenmitglieder entspricht. Zudem entsteht eine Teamvision und eine eigene Identität der Gruppe, welche die Teammitglieder ermächtigt und Lernen fördert. Senge schreibt Teams die Fähigkeit zu, einen Mikrokosmos des organisationalen Lernens abzubilden und als Vorbild und zum Maßstab für das gemeinsame Lernen in der Gesamtorganisation zu gelten.

Bei der Disziplin der gemeinsamen Vision geht es um die Entwicklung von aktivierenden Zukunftsbildern, die das Handeln der Mitarbeitenden leiten. Diese Vision sorgt für eine gemeinsame Identität und zielgerichtetes Arbeiten.

Zur letzten Disziplin einer lernenden Organisation gehören mentale Modelle. Jedes soziale System besteht aus bestimmten impliziten und expliziten Regeln, welche die Funktionsweise des Systems bestimmen. Mentale Modelle sind jene „tiefverwurzelten Annahmen, Verallgemeinerungen oder auch Bilder und Symbole, die großen Einfluss darauf haben, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir handeln“. Diese mentalen Modelle werden von den gemachten Erfahrungen geprägt und prägen gleichzeitig auch die Erfahrungen, Verhaltens- und Denkweisen. Das Bewusstmachen und die Reflexion dieser Denkweisen ist somit für die Gestaltung von organisationalen Lernprozessen unabdingbar, da nur so Alltagsroutinen und alte Verhaltens- und Denkweisen hinterfragt und neue Veränderungsmuster entdeckt werden können. Es bedarf zum Aufbau einer lernenden Organisation daher Menschen, die lernfähig und engagiert sind und die „Welt mit den Augen eines Systemdenkers sehen, die nach Selbstführung und Selbstschulung streben und die lernen, wie sie – gemeinsam – mentale Modelle aufdecken und neu strukturieren können“.

Jede der fünf Lerndisziplinen liefert einen wichtigen Beitrag für eine Organisation. Denn jede Organisation muss sich, um zu überleben, ständig weiterentwickeln. Man kann diese fünf Disziplinen einer lernenden Organisation zudem auch als Führungsdisziplinen bezeichnen, die insbesondere den Führungskräften eine Orientierung bieten, wie ihre Organisation erfolgreich geführt werden kann. Denn die Entwicklung einer lernenden Organisation erfordert auch eine andere Betrachtungsweise der Führung. Dazu können Sie im zweiten Teil dieser Artikelserie mehr erfahren: Führungskräfte als Designer, Steward und Lehrer

Autor: Bartosz Czaja

 

Literatur:

Boyett, Jose H/Boyett, Jimmie T (1999): Management-Guide. Die Top-Ideen der Management-Gurus. Wien: Econ. 

Drucker, Peter (1993) Post-Capitalist Society. Oxford: Elsevier Butterworth-Heinemann. 

Liebsch, Beate (2011): Phänomen Organisationales Lernen. Kompendium der Theorien individuellen, sozialen und organisationalen Lernens sowie interorganisationalen Lernens in Netzwerken. München/Mering: Rainer Hamp. 

Senge, Peter Michael (1996): Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Stuttgart: Klett-Cotta. 

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