Erfolgreiche Führung im digitalen Zeitalter

13.12.2019

Der Veränderungsdruck in Unternehmen hat zugenommen. Die Digitalisierung sorgt für Herausforderungen. Auch stellt eine neue Mitarbeitergeneration andere Ansprüche an Arbeit und Unternehmenskultur. Alte und bisher bewährte Handlungsformen führen heute nicht mehr zu gewünschten Ergebnissen. Vor allem die Führung in Unternehmen muss sich der Frage stellen, wie sie den Herausforderungen begegnen soll. New Leadership ist eines der Schlagworte, das in diesem Zusammenhang genannt wird. Auch uns erreichen Fragen zu neuen und anderen Führungsstilen, die in einer digitalisierten Unternehmenslandschaft zu besseren Ergebnissen und gewünschten Verhalten bei den Mitarbeitern führen. Der Erziehungs- und Wirtschaftswissenschaftler Bartosz Czaja hat zusammen mit der Agile Expertin Rike Ullenbaum auf einige dieser Kundenfragen hier Antworten gegeben. Die Fragen im Überblick:

  1. Welche Empfehlungen haben Sie, um New Leadership in Unternehmen zu implementieren?
  2. Wie kann man die Geschäftsführenden davon überzeugen, New Leadership Einzug halten zu lassen?
  3. Gibt es aus Ihrer Sicht Persönlichkeitskompetenzen oder Hinweise, nach denen man solche New Leader auswählen kann?
  4. Welche Maßnahmen kann man als Führungskraft am besten nutzen, um seinen eigenen Führungsstil mehr in Richtung "New Leadership" zu entwickeln?
  5. Inwiefern sind aus Ihrer Sicht diese Fähigkeiten für Multiplikatoren/Experten (also Personen ohne disziplinarische Führung) relevant?

1. Welche Empfehlungen haben Sie, um New Leadership in Unternehmen zu implementieren?

Die für mich wichtigste Empfehlung ist es, mit dem obersten Management anzufangen. Von dort getrieben, wird dann der Prozess in die Gesamtorganisation getragen. Das funktioniert z.B. über gezielte Großgruppenformate wie den Zukunftsdialog, bei denen man mit den Mitarbeitenden in direkten Austausch tritt. Die Einbeziehung vieler Menschen in strategische Fragestellungen schafft eine größere Informationsbasis für Managemententscheidungen und erhöht die Chance auf ein echtes Commitment bei den Mitarbeitenden.

Trägt das Management Themen und Businessfragen des Unternehmens in die Organisation, können aus der Schwarmintelligenz Wissen und Lösungen generiert werden. Zudem wird ein deutliches Zeichen gesetzt, dass alle Mitarbeitenden mit ihren individuellen Fähigkeiten und Interessen mitgenommen werden sollen. Wichtig ist es, die so eingesammelten Antworten und Ergebnisse passgenau auszuarbeiten, zu visualisieren und zeitnah über Abteilungsworkshops in die Organisation zurückzuspielen. Bei so einem Vorgehen wird die komplette Mannschaft einbezogen und es entsteht viel Vertrauen, da die Ergebnisse aus Lösungen stammen, die von der Mannschaft mitentwickelt und -getragen werden. Das stärkt wiederum das Commitment der Mitarbeitenden und es entsteht ein positives Wechselspiel zwischen Vertrauen und Commitment.  

Die Entscheidungsgewalt bleibt natürlich bei der Führung. Sie arbeitet für einen solchen Prozess auch die Fragestellungen aus und gibt damit den Rahmen vor. Doch die Führung sorgt so für ein Verständnis, warum bestimmte Themen bearbeitet werden und für mehr Akzeptanz von Veränderungsprozessen.   

2. Wie kann man die Geschäftsführenden davon überzeugen, New Leadership Einzug halten zu lassen?

Aus einer Vertrauensposition heraus immer wieder positive Beispiele und Geschichten erzählen, z.B.  „Konkurrent XY hat es geschafft, weil er es so und so gemacht hat“ oder von eigenen Erfahrungen aus kleinen Pilotprojekten berichten. Man kann natürlich ein Vorreiter sein, indem man proaktiv Verantwortung übernimmt und Themen bearbeitet. 

Auf der anderen Seite kann man mit dem Thema Fach- und Führungskräftenachwuchs argumentieren, weil die jungen Leute, die jetzt gebraucht werden, nicht mehr zu den patriarchisch geführten Unternehmen kommen, die nach alten Mustern funktionierenden und ein System aus Misstrauen und Kontrolle aufgebaut haben. Darüber entsteht sehr viel Notwendigkeit für dieses Thema. Aber auch darüber wird man den typischen Chef einer Härterei in der dritten Generation nicht unbedingt kriegen. 

Man kann versuchen die Führungsetage über eine systemische Betrachtungsweise zu motivieren, also über das Verständnis von Unternehmen als soziale Systeme und deren Eigenheiten. Da können Weiterbildungen einen Grundstein legen. Auch über Formate wie Design Thinking können Führungskräfte neue Denkweisen erschließen und sich überlegen, Dinge mal ganz anders anzupacken. Wichtig ist es immer, ein gemeinsames Mindset zu schaffen. 

3. Gibt es aus Ihrer Sicht Persönlichkeitskompetenzen oder Hinweise, nach denen man solche New Leader auswählen kann? 

Ich bin der Meinung, dass man davon wegkommen sollte, immer nur auf Noten zu gucken. Ganz häufig werden Führungskräfte danach ausgewählt, ob sie ein guter Ingenieur sind, ob sie tolle Sachen entwickeln oder ob sie einfach fachlich gut sind. Das sagt jedoch überhaupt nichts über deren Führungsqualitäten aus. Eine gute Fachkraft ist nicht zwingend auch eine gute Führungskraft. Es kann auch jemand eine sehr gute Führungsleistung abgeben und eine Mannschaft formen, die innovativ, vorrausschauend und motiviert arbeitet, obwohl er oder sie nicht die perfekte Brücke konstruieren oder berechnen kann. Alleroberste Fähigkeit, die eine Führungskraft haben muss, ist Empathie. Empathiefähigkeit ist leider das, was vielen fehlt. Erspüren und herausfinden zu können, wo und wie man eine Mannschaft kriegt, was sie antreibt und motiviert. Als New Leader muss man die Leidenschaft dafür entwickeln, Mitarbeitende mitzunehmen. 

Neben der Empathiefähigkeit ist auch der Mut zum stetigen Wandel entscheidend. Viele Führungskräfte tendieren dazu, an Bestehendem festzuhalten, nach dem Motto „never change a running system“. Solche Führungspersönlichkeiten werden sich im Zeitalter der Digitalisierung mit den Gegebenheiten der VUCA-Welt schwertun. Wir brauchen in Zukunft Führungskräfte, die ganz viel Mut zu Veränderungen haben und Veränderungen als etwas Selbstverständliches ansehen. Und das vor allem bei sich selbst. Mit Widerständen umzugehen und Veränderungen mit ihren Chancen und Risiken als das Gegebene zu sehen und daraus eigene Stärken und Schwächen abzuleiten, das zeichnet New Leader aus. 

Was sich die New Leadership Führungskraft bewusstmachen muss, ist, dass sie zunehmend eher eine fragende als eine allwissende Rolle einnimmt. Derjenige, der alles schon weiß und alle Antworten bereits kennt, den brauchen wir nicht mehr. Heute brauchen wir die mutige Führungskraft, die eine Mentoring- und Coachingrolle einnimmt und sich von der klassisch betriebswirtschaftlichen Perspektive der Führungskraft - bestehend aus planen, organisieren, leiten, koordinieren und kontrollieren - loslöst und stattdessen offen für neue Sichtweisen ist und bekannte Phänomene aus anderen Perspektiven betrachtet. 

4. Welche Maßnahmen kann man als Führungskraft am besten nutzen, um seinen eigenen Führungsstil mehr in Richtung "New Leadership" zu entwickeln?

Erstens ganz klar: Systemisches Denken fördern! Aber auch mit Mitarbeitenden in Dialog treten und diese fragen, was sie beschäftigt, welche Herausforderungen sie gerade sehen, welche Möglichkeiten sie darin sehen und welchen Support sie benötigen, um Projekte erfolgreich abzuschließen. Darüber hinaus ist es wichtig, abteilungsübergreifende Kollaborationsmöglichkeiten und Freiheiten zu schaffen und das „Denken in Abteilungssilos“ zu verlassen. Um den abteilungsübergreifenden Informations- und Wissensaustausch zu implementieren, eignen sich Methoden wie Großgruppenformate, netzwerkartige Projektgruppen, Mentoring- und Coachingformate sowie Workshops. Insgesamt muss der intendierte und nicht zufällige Austausch zwischen den Mitarbeitenden durch räumliche und soziale Strukturen ermöglicht bzw. institutionalisiert werden. 

Anderseits müssen Führungskräfte Entscheidungen treffen, wann bestimmte Projekte aufgrund fehlender Ergebnisse oder Prototypen, die kein Kundenbedürfnis erfüllen oder keinen Mehrwert generieren, zu beenden sind, um die Ressourcen anders zu verteilen bzw. zu schonen. Eine offene und wertschätzende Fehlerkultur ist Voraussetzung für die Einbettung einer New Leadership. Führung sollte dabei stets auf Augenhöhe erfolgen, bei der die Führungskraft als Coach und Vorbild gilt, insbesondere dann, wenn es um das Experimentieren, Scheitern und Lernen geht. 
Zahlreiche wissenschaftliche Forschungsergebnisse zum Thema Veränderungsmanagement zeigen, dass für eine wirksame Umsetzung von Veränderungen insbesondere transformationale Führung, Kommunikation und die Einbindung der Mannschaft in den Veränderungsprozess zu den wichtigsten Parametern gehören. Zudem ist es wichtig, den Mitarbeitenden Vertrauen zu schenken. Sowohl horizontal als auch vertikal. Das wird erreicht, in dem man in alle Richtungen immer wieder Kontaktpunkte schafft. 

Man kann sich zudem bei Kollegen aus Nachbarabteilungen deren Führungspraxis angucken und sie als Reflexionsfläche für das eigene Führungshandeln nutzen! Generell ist es natürlich sinnvoll, regelmäßig nach rechts und links zu schauen, Erkenntnisse zu sammeln und den Plan zu überprüfen. 

5. Inwiefern sind aus Ihrer Sicht diese Fähigkeiten für Multiplikatoren/Experten (also Personen ohne disziplinarische Führung) relevant?

Ich glaube, es ist wirklich wichtig für Personen ohne disziplinarische Führungsposition zu verstehen, warum sie selbst neu oder anders geführt werden. Mit New Leadership gibt die Führungskraft die Verantwortung zum Teil ab und lässt andere und größere Freiräume bei ihren Mitarbeitenden zu. Sie erwartet und fördert mehr Kreativität und gibt mehr Impulse und sagt nicht mehr „Tu das, mach dies und als nächstes das“, sondern sagt „Hey, guck doch mal wie Du dir deinen Arbeitsalltag gestaltest, damit wir ein gutes Ergebnis haben“. Diese neue Freiheit muss ausgefüllt werden. Sie muss angenommen und ohne Angst akzeptiert werden. Es muss ein Verständnis entwickelt werden, warum neu geführt wird und gleichzeitig kann der Mitarbeitende, wenn er dieses neue Führungsbild versteht, dieses auch vorantreiben. Er kann die neue Art der Führung fördern, indem er der jeweiligen Führungskraft Hilfestellungen dazu gibt und die Akzeptanz schaffen, dass auch die Mitarbeitenden als Schwarm mehr und anderes Wissen besitzen. 

Ich hatte vor kurzem den Fall, dass eine neue Führungskraft nach vielen Jahren einen Bereich übernommen hat, der zuvor von einer guten Fachkraft geführt wurde, die aber ihre disziplinarische Führungsrolle gar nicht so sehr wahrgenommen hat, dafür fachlich alles regeln und Themen lösen konnte und eine gute Ansprechperson war. Das Eintreffen der neuen Führungskraft, die fachlich wiederum gar nicht so tief drinsteckte, aber sich sehr stark an New Leadership orientiert hat, führte zu großer Verunsicherung. Erst nachdem ein Workshop stattgefunden hat, indem sie das Thema New Leadership gemeinsam erarbeitet haben, wurde viel Vertrauen in die Führungskraft aufgebaut. Dafür müssen auch Mitarbeitende ohne disziplinarische Führung diesen Führungsstil kennen, weil sie ihn dann sowohl fördern als auch fordern und auch akzeptieren können. Das hilft im Zusammenspiel, um schneller und reibungsloser den Change Richtung New Leadership zu schaffen und minimiert die Widerstände.

 

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