Feedback und Reflexion statt Führungskraft und Mitarbeitergespräch

02.03.2021

Ein klassisches Instrument von Führung ist das Mitarbeitergespräch. Ein- oder mehrmals im Jahr bitten Führungskraft oder Personalverantwortliche die Mitarbeiter:innen zum Gespräch. Dabei geht es meist um einen Rückblick und einen Ausblick auf Ziele, Leistung und die berufliche Weiterentwicklung der Mitarbeiter:in. Es wird in der Regel Feedback gegeben, es werden Stärken hervorgehoben und Defizite benannt, aber auch Möglichkeiten zur Verbesserung angeboten. Gehaltsverhandlungen, Aufstiegsmöglichkeiten oder Konfliktthemen gehören ebenfalls in den Bereich dieser Gespräche. Die Planung, Organisation und Durchführung der Gespräche obliegt der Führungskraft.

In agilen Organisationen verlagern sich Zuständigkeiten. Klassische Strukturen und das Denken „Führung oben, Ausführung unten“ lösen sich zunehmend auf. Mitarbeiter:innen tragen stattdessen mehr (Selbst-)Verantwortung. Auch das Führungsinstrument Mitarbeitergespräch kann sich in seiner klassischen Form in agilen Unternehmen auflösen.

Einführung eines Feedbacksystems bei PRAXISFELD

Das Mitarbeitgespräch wird natürlich nicht ersatzlos gestrichen. Stattdessen muss die Frage danach, ob ich die Dinge richtig mache, wie ich sie mache, auch weiterhin beantwortet werden.
Eine Lösung kann so aussehen: Die Mitarbeiter:innen holen sich dieses Feedback aktiv selbständig ein. Und zwar nicht nur bei der Führungskraft (vielleicht sogar gar nicht mehr), sondern auch bei Kollegen und Kolleginnen. Der Rahmen, wie und in welcher Form das Feedback eingeholt werden kann und soll, wird gemeinsam in einem angemessenen Rahmen festgelegt und so eine Struktur geboten, die Orientierung gibt. Eine Dokumentation darüber, ob, wann und von wem Feedback eingeholt wurde – ohne natürlich sensible Inhalte preiszugeben – schafft für alle einen Überblick.

Bei PRAXISFELD wurde im Rahmen der Einführung eines neuen Organisationsdesigns unter anderem das Mitarbeitergespräch durch ein Feedbacksystem ersetzt. Ausgehend von der Frage „Tue ich die Dinge richtig?“ kann (und muss) sich jede:r mindestens zweimal im Jahr von mindestens zwei Personen im gemeinsamen Gespräch Rückmeldung darüber holen, wie das eigene Tun von den anderen wahrgenommen wird. Der Zeitpunkt und die Runde dafür werden gezielt ausgewählt und festgelegt: Direkt nach einem gemeinsamen Kundentermin, in Verbindung mit einer Projektarbeit oder in einem eigens dafür vereinbarten Termin mit einer oder mehreren Personen. Die Entscheidung für das ein oder andere steht frei. Verschiedene Feedbackmethoden wurden vorgestellt, so dass alle Mitarbeitenden in der Lage sind, die Gespräche selbst vorzubereiten und durchzuführen.

Unser agiles Organisationsdesign

Bei PRAXISFELD ist das Feedbacksystem eingebettet in ein agiles Gesamtkonzept und nur ein Teil dessen. Es ist zuständig für den Fremd- und Selbstabgleich. Wir sind aber noch einen Schritt weiter gegangen und haben die klassischen Führungskraft-Mitarbeiter:in-Paarungen komplett aufgelöst. Es gibt weiter den rahmengebenden Kreis der Unternehmensleitung, aber keine klassischen Führungskräfte. Die Unternehmenssteuerung geschieht durch das beschriebene Feedbacksystem und auf sachlich-fachlicher Ebene durch eine Strategie und einen OKR-Reflexionszyklus zur Frage „Tun wir die richtigen Dinge?“

Gleichwohl folgen wir dabei nicht einem bestimmten agilen Konzept und es ist nicht alles agil. Wir behalten an bestimmten Punkten klare Regeln und Rollen. Feste Bezugspersonen im Sinne eines Mentoring-Systems bleiben zum Beispiel bei uns erhalten.

Auch bei dezentralen Entscheidungsstrukturen und Prozessen muss geregelt sein, wer für welches Thema verantwortlich ist, an wen man sich mit welcher Frage wenden kann und über welchen Weg neue Entscheidungen und Regelungen erarbeitet und getroffen werden. So bleiben wir zum Beispiel beim klassischen Verständnis darüber, dass der Chef in unklaren Situationen und bei kritischen Entscheidungsfragen ein Machtwort sprechen und durchsetzen kann, oder dies auch tun muss, um in konfliktären Situationen weiter zu kommen.

Und es ist gibt Personen, die trotz aller persönlichen Entscheidungsmöglichkeiten Themen wie Urlaubsplanung, Arbeitszeiten, Weiterbildungen oder individuelle Fragen im Blick haben, die von keinem anderen Prozess beantwortet werden können.

Wir glauben, dass dieses Organisationsdesign für uns aktuell das passende ist.

Selbstwirksamkeit schafft eine hohe Motivation

Die Abhängigkeit der Angestellten von einzelnen Führungskräften wird in einer solchen agilen Struktur reduziert und die gemeinsame Verantwortung wird zum Standard. Die soziale und fachliche „Kontrolle“ findet im Team gemeinsam und untereinander statt. Jede:r ist für sich und das eigene Handeln verantwortlich und kann verantwortbar gemacht werden. Das schafft einerseits Freiräume und Wahlmöglichkeiten, andererseits steigt unter Umständen auch der Druck auf jede:n Einzelne:n und ebenso die Transparenz. David Agert hat diese Kehrseite von Agilität bereits in seinem Artikel „Die Verschiebung von Hierarchie in agilen Unternehmen“ thematisiert und die mögliche Überforderung Einzelner in agilen Strukturen benannt. In einer positiven Ausgestaltung jedoch entsteht Zufriedenheit durch ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und durch Mitgestaltungsmöglichkeiten.

Insgesamt zahlt sich dieses agile Konzept aus. Die Motivation im PRAXISFELD Team ist überdurchschnittlich hoch. Die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung durch Great Place to Work hat in den letzten Jahren mehrfach gezeigt, dass die Förderung agiler Strukturen und transparenter Führung nicht nur wirtschaftlichen Erfolg sichert, sondern auch durchweg zufriedene Mitarbeiter:innen hervorbringt.

Wir sind gespannt auf die weitere Entwicklung und werden hier von unseren Erfahrungen berichten.

Autorin: Dorothee Dickmann

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