Greenfield ade

03.05.2018

Wer weiß, warum seine Firma gestern erfolgreich war, hat beste Voraussetzungen es auch morgen zu sein!

Wer guckt schon gerne nach hinten, wenn er nach vorne will? Wahrscheinlich niemand, auch nicht unsere Kunden. Sie tun sich am Anfang schwer, wenn wir ihnen vorschlagen, zuerst ihre Vergangenheit besser zu verstehen und dann erst nach vorne zu schauen. Und wahrlich: Auf den ersten Blick ist dieses Vorgehensmodell kein Verkaufsschlager. Warum ist es dennoch sinnvoll, ja unerlässlich?

Unsere „quick and dirty“ Antwort lautet: Weder eine Person noch eine Organisation kann ihre Vergangenheit vergessen oder sich gar komplett von ihr abkoppeln. Bis dato gemachte Erfahrungen, erfolgreiche wie nicht erfolgreiche, determinieren die Möglichkeiten von morgen. Je bewusster man weiß, warum man erfolgreich/nicht erfolgreich war, desto besser kann man dieses Wissen in zukünftige Planungen integrieren. Hat man darüber wenige Kenntnisse, hat man weniger Auswahlmöglichkeiten.

Reflexionsimpuls 1

Haben Sie Lust auf eine kleine Reflexion? Dann wählen Sie aus den Fragen diejenige, die in Ihrem beruflichen Kontext eine Rolle spielt.

  • Warum ist unsere Firma erfolgreicher als unsere Mitbewerber?
  • Welches Erfolgsmuster der Vergangenheit ist auch heute noch ein Erfolgsmuster unserer Firma? Und welches nicht?
  • Welche wiederkehrenden Nervthemen gibt es bei uns und warum sind diese überhaupt entstanden? Was „gewinnt“ die Firma, wenn sie die Nervthemen nicht löst?
  • Wie organisieren wir in unserem Unternehmen Reflexion? Entstehen in Meetings neue Gedanken und Ansichten?

Am besten machen Sie sich ein paar Notizen oder malen ein Scribble.

Sind Sie fertig?

Dann denken Sie mal kurz an Ihr Team oder Ihre Abteilung. Wie viele Ihrer Kollegen und Kolleginnen würden wohl zu einer ähnlichen Einschätzung kommen wie Sie?

Wenn es eine hohe Übereinstimmung gibt, kann man davon ausgehen, dass Ihr Unternehmen viel Routine und Erfahrung hat, Themen zu reflektieren und zu vergemeinschaften. Beste Voraussetzungen, um die Organisation weiterhin agil und überlebensfähig zu halten.

Gibt es eine niedrige Übereinstimmung, dann liegt eine Menge Potential brach, das erheblich zur Zukunftssicherung beitragen könnte. Wie das geht, lesen Sie im nächsten Abschnitt.

Von der DNA eines Unternehmens

Die „sound and proper“ Antwort auf die Frage, warum ein Blick in die eigene Geschichte die Fahrt nach vorne erfolgreicher macht: Organisationen haben ein Gedächtnis, eine DNA. Manches ist bewusst und wird erzählt, anderes ist unbewusst und spiegelt sich dennoch an vielen Stellen der Organisation wider. Das Gedächtnis speist sich aus den Erfahrungen und den damit verknüpften Erzählungen der Vergangenheit.

Jede Person und jede Organisation kann nur sehen, was sie gelernt hat zu sehen. Das kann sie dann in Worte fassen und daraus Handlungen ableiten. Das, was Unternehmen nicht sehen können bzw. wo sie sich keine Zeit nehmen genauer hinzusehen, wird solange keine Beachtung in ihren Handlungen finden, wie der wirtschaftliche Erfolg vorhanden ist und auch sonst keine Gefahr offensichtlich wird. Meist haben Erzählungen den Zungenschlag von rationaler Entscheidungsfindung.

Genau an diesem Punkt lohnt aber der Blick in die Vergangenheit! Nur DIE Organisation, die ihre bewussten und weniger bewussten Entscheidungsmuster, in anderen Worten ihre DNA sehen kann, kann sich in der Zukunft bewusst für oder gegen bestimmte Muster entscheiden. Die größte Gefahr geht von denjenigen Mustern aus, die in der Vergangenheit zum Erfolg geführt haben und in der Gegenwart dysfunktional geworden sind. Diese zu erkennen und zu ändern, gehört zu den herausforderndsten Aufgaben von Führung.

Diesen Erkenntnisprozess strukturieren wir in unserer Beratungsarbeit mit dem PRAXISFELD-Prozessmodell Liegende 8. Bevor nun eine Erklärung des Modells kommt, zuvor aber noch ein weiterer Reflexionsimpuls für Sie.

Reflexionsimpuls 2

Fällt Ihnen spontan ein Trend ein, den Ihr Unternehmen „verschlafen“ hat und den Sie – aus heutiger Sicht – damals hätten sehen können? Was glauben Sie, hat Ihr Unternehmen daran gehindert, den Trend zu erkennen? Durch welche Brille hat es den Markt beobachtet? Der Effizienzbrille? Der Wachstumsbrille? Der Rationalitätsbrille? Der ZDF-Brille? Der Innovationsbrille? Oder hat es gar nicht auf den Markt geschaut, sondern nach innen auf die eigenen Themen wie Kultur- oder Führungsthemen?

Notieren Sie sich Ihre Antworten, insbesondere wie Ihr Unternehmen in diesem Fall Beobachtungs- und Reflexionsprozesse organisiert hat und vielleicht immer noch organisiert.

Das Modell der Liegenden 8 im Überblick

Das Prozessmodell der Liegenden Acht


Das Modell Liegende 8 zur Gestaltung von Beobachtungs- und Reflexionsprozessen besteht aus fünf Phasen und drei Entscheidungspunkten.

Erster Entscheidungspunkt ist der Auslöser. Veränderungen in Organisationen brauchen ein bestimmtes Maß an Veränderungsenergie, um nicht Gefahr zu laufen auf halber Strecke zu versanden. Diese Energie gilt es schon vor dem eigentlichen Start eines Veränderungsprojektes aufzubringen. Nämlich wenn es darum geht, eine möglicherweise notwendige Veränderung als solche zu erkennen und ein Veränderungsprojekt zu starten. Das ist gar nicht so leicht, da Organisationen meist stark fragmentiert sind und sich nicht zu jedem Zeitpunkt vollständig selbst sehen können. So kann es vorkommen, dass ein Teil der Organisation schon merkt, wo etwas schiefläuft, während ein anderer Teil noch denkt, alles wäre in Ordnung. Führung hat in diesem Kontext eine Radarfunktion: Sie beobachtet den Markt, die Kunden und die eigene Organisation, überprüft den Fit und entscheidet, ob Anpassungen notwendig sind. Wenn ja, definiert sie diese Anpassungsnotwendigkeit als Auslöser. Das Besondere an dieser Entscheidung ist die Auswahl aus vielen weiteren tagtäglichen und möglichen Entscheidungen. Hier beschließt Führung, dass a) eine Anpassungsleistung notwendig erscheint und b) Veränderungsenergie aufgebracht werden muss. Ein relevanter Auslöser kann zum Beispiel die Erkenntnis sein, nicht mehr schnell genug zu sein, dass der Mitbewerber die besseren Produkte hat, die Kundenanfragen zurückgehen oder Innovationen fehlen.

Die linke Seite der Liegenden 8 - Die Vergangenheit

Der Benennung des Auslösers folgen die beiden Phasen Analyse und Diagnose auf der linken Seite der Liegenden 8. In der gemeinsamen Analysephase werden Informationen zur Vergangenheit gesammelt. Die generische Frage lautet:

Was können wir beobachten, was dazu geführt haben könnte, dass wir heute da stehen, wo wir stehen?

Die Analysefragen und -felder werden kontextabhängig konkretisiert. Hauptfokus liegt auf der Öffnung des Blickes für unterschiedliche Beobachtungen. Ziel ist es mehr zu sehen.

In der anschließenden gemeinsamen Diagnose erklärt man sich zuerst die Beobachtungen und Analyseergebnisse und bewertet sie dann vor dem Hintergrund des beschriebenen Auslösers. Generische Diagnosefragen:

Wie erklären wir uns, warum bestimmte Dinge gesehen und auch nicht gesehen wurden, bestimmte Dinge passiert oder auch nicht passiert sind? Zu welcher Bewertung kommen wir jetzt?

Den Prozess der gemeinsamen Bewertung des vergangenen Geschehens nennen wir Collective Sensemaking. Hier entsteht ein gemeinsames Bild der zentralen Herausforderungen, die angegangen werden müssen, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern. Dieser Moment erhält seine Kraft durch die gemeinsame Herleitung. Relevante Probleme werden als zentrale Herausforderungen sprachfähig gemacht und vergemeinschaftet. Den bisher vorherrschenden Erklärungsmodellen und Entscheidungsmustern werden andere hinzugefügt, alte Pfade können verlassen werden und neue begangen. Ist die eigene Geschichte verstanden, wendet sich der Blick in Richtung Zukunft.

Die rechte Seite der Liegenden 8 - Die Zukunft

Für die zentralen Herausforderungen und Probleme werden Ziele entwickelt und Planungen entworfen. Das sollte so plastisch wie möglich geschehen, denn dieses gemeinsame Zielbild erzeugt Sogkraft. Das Zielbild wird einer Machbarkeitsprüfung unterzogen, um a) Zielkonflikte, die entstehen können, rechtzeitig zu lösen und um b) die Gefahr zu vermeiden, sich zu viel vorzunehmen. Weniger ist mehr, ist unser Ratschlag an dieser Stelle.

Wenn zum Beispiel das Ziel die Erhöhung der Innovationsfähigkeit sein sollte, dann entstehen hieraus einige interessante Fragen:

  • Was kostet uns das neue Ziel?
  • Wer verliert Macht, Einfluss und Status, Einkommen, etc. durch die Veränderung?
  • Was gewinnen und was verlieren wir als gesamte Organisation?
  • Was genau müssen wir alles tun oder lassen, um das Ziel zu erreichen?

Hier wird deutlich, dass es nicht nur eine geplante rosige Zukunft gibt, sondern auch Risiken und Verzicht. Das gilt es alles sprachfähig und öffentlich zu machen.

Gemeinsame Entscheidung und Umsetzung

Jetzt erst wird die Entscheidung gefällt, ob und wie das Zielbild umgesetzt wird. Die Trennlinie zwischen der Phase Ziele und Planung sowie der Machbarkeitsprüfung ist fließend, ebenso wie der Übergang zur Entscheidung, was jetzt wirklich umgesetzt wird. Je expliziter die Entscheidung zu den neuen Zielen kommuniziert wird, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass genug Veränderungsenergie für die Umsetzungsphase erzeugt wird und das Neue in die Welt kommen kann.

Das Neue ist ein zartes Pflänzchen

Dieses Neue bleibt nur am Leben, wenn man es regelmäßig gießt. Das geschieht in Veränderungs- und Organisationsentwicklungsprojekten durch Vertiefung und Verstetigung: Die Routinen und Erwartungen von Kunden, Lieferanten und anderen Organisationsteilen sind immer noch aktiv. Der Greenfield-Ansatz* ist in diesem Kontext eine Illusion.

Wichtigste Aufgabe ist nun, mit weiterer Aufmerksamkeit und Energiezufuhr für eine Verstetigung und weitere Adaption des Entschiedenen zu sorgen. Mit der Berücksichtigung aller Schritte dieses Modells stellt man sicher, dass Veränderungsenergie entstehen kann, Verantwortung für das Ganze übernommen wird und die entsprechende Gruppe oder Organisation am Ende eine Übereinkunft für eine gemeinsame Vorgehensweise hat. Strategic Sensemaking ist hierbei die Methode zur Herbeiführung von Entscheidungen. Es reduziert Transaktionskosten in Form von Kontrollen und sorgt für eine hohe Eigenmotivation und Ausrichtung auf Markt, Daseinsberechtigung und Kunden.

Autorin: Sabine Kröhn

 

*Der Greenfield Approach oder Grüne Wiese Ansatz wird als radikale Neugestaltung verstanden, bei der alte Strukturen und Organisationsformen außen vor gelassen und das Unternehmen gedanklich auf Null gesetzt wird.

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