Keine Angst vor organisationalen Konflikten

03.11.2022

Was wäre, wenn wir Konflikte konstruktiv statt destruktiv nutzen würden? Wenn sie Hinweise geben würden auf relevante Themen, die die Führung sonst übersähe? Was wäre, wenn Harmonie nicht nur unerreichbar, sondern auch schädlich wäre und es den Mitarbeiter*innen trotz Widerstreit gut geht? Wie könnte es sein, wenn man nicht nur die verschiedenen Ebenen von Personen und Strukturen auseinanderhalten würde, sondern sich den Konflikt zum Freund macht? Wo liegen möglicherweise die Chancen und systemerhaltenden Funktionen von Konflikten der Organisation?

 

Organisationen sind um Konflikte und Paradoxien herum gebaut, denn jede Arbeitsteilung braucht Kommunikation. Und die erzeugt immer neue Kommunikation, eigensinniges Verstehen und damit auch Konflikte sowie Spannungsfelder gegensätzlicher Ziele. Sehr sorgfältig zu sein ist wichtig, um sich endlose Korrekturen zu ersparen. Und 80/20 ist auch richtig, da man sonst nie fertig wird und unverhältnismäßigen Aufwand treibt. Diese Paradoxien, dass in Organisationen sich widersprechende Prämissen gleichzeitig gültig sind, werden in der Regel dadurch angegangen, dass man die beiden Gültigkeitsbereiche auf getrennte Abteilungen und Rollen verlagert.

Intuitiv schauen wir bei Reibungspunkten in Unternehmen jedoch nicht auf die organisierte Widersprüchlichkeit, sondern zuerst auf die Personen, die einen Konflikt miteinander haben.  Wir versuchen, Ursache und Lösung im Verständnis von Persönlichkeiten und deren Gewohnheiten zu finden. Das ist auch ein bisschen richtig, aber lange nicht alles.

Viele Konflikte sind durch Rollen, Zielsysteme, unternehmenskulturelle Gewohnheiten und andere Rahmenbedingungen schon „voreingestellt“. Wir sprechen dann von “organisationalen” Konflikten. Auch wenn man Personen schult, Anweisungen gibt, coached oder austauscht, gehen diese Konflikte nicht weg, denn organisational heißt personenunabhängig und “als Konflikt organisiert”. So wird der Vertrieb immer eher für Flexibilität und Ausnahmen optieren, die Produktion deutlich mehr für Routinen und Regeln. Weil es der Job mit sich bringt. Es gibt “unlösbare” Konflikte und diese sind trotzdem über die Reflexion und Nutzung der unterschiedlichen Perspektiven bearbeitbar.

 

Organisationale Konflikte haben, anders als personale, ihre Ursache nicht in fehlender Wertschätzung von Personen und deren Bedürfnissen, sondern in der notwendigen Unterschiedlichkeit von Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die sich wechselseitig kontrollieren und aktivieren sollen.

Konsens ist dabei kein generelles Ziel, sondern eventuell nur eine Fassade und die Ausgangslage, um nach geleugneten Konflikten zu suchen. Und manchmal ist der scheinbare Konsens das Problem! Viel Konsens ist möglicherweise auch ein Hinweis dafür, dass Konflikte und organisationale Themen nicht bearbeitet werden.

Im beruflichen Alltag wird das personale (es kommt ja schließlich von dieser Person) und das organisationale (er oder sie vertritt einen speziellen Blickwinkel) oft kunterbunt durcheinandergeworfen. Das führt nicht nur zu Ärger und Frust, sondern auch zur Verschlechterung der Arbeit.

Organisationen, die ein positives und weniger auf die Person fixiertes Verhältnis zu Konflikten entwickeln, können leichter die notwendigen Kompetenzen zu ihrer „Bearbeitung“ aufbauen.

In unserer Arbeit gelingt das regelmäßig durch eine Fokusverschiebung auf die übergeordnete Zielerreichung, die für beide “Parteien” gilt. So gelang es z.B., einen tiefsitzenden Konflikt zwischen Innendienst und Außendienst zu überwinden, als klar wurde, dass beide Seiten bei völlig unterschiedlichen Anforderungen durch verbesserte Kommunikation und Angleichung der Zielsysteme ihre “nervige Unterschiedlichkeit” in einem gemeinsamen Erfolg transformieren können.

Allerdings – man achte auf die Maßnahmen. Was man haben will, muss man organisieren. Neu geordnete Abstimmungswege und veränderte Zielsysteme waren die Voraussetzung. Frei nach dem Satz: “Wenn du Verhalten ändern willst, ändere Verhältnisse”. Von den persönlichen Konflikten zwischen Innen- und Außendienst (“die hassen sich!”) ist heute übrigens nicht mehr übrig.

Je mehr man sich an den Gedanken gewöhnt und anfreundet, das Konflikte bauartbedingt sind, umso eher kommt man an den positiven Punkt, dass Konflikte Sensoren für die Frage sind, an welchen Stellen Strategie, Kommunikations- und Entscheidungswege, Kompetenzen und Führung nicht schnell genug adaptiert werden.

Wir erleben regelmäßig, dass Konflikte in Organisationen oft schon damit beginnen, dass die Strategie unklar ist. Denn wenn die Strategie unklar ist, ist fast jedes Handeln richtig und jeder kann seiner eigenen Maxime folgen. Zusätzlich kann auch das Organisationsdesign (wer spricht wann mit wem) so ausgelegt sein, dass die Kommunikationswege dysfunktional sind.

Ziel sollte es also aus übergeordneter Perspektive sein, Bedingungen zu schaffen, unter denen der produktive Umgang mit Konflikten zu einem Pluspunkt in der Unternehmenskultur wird.
Und dann viel Spaß beim nächsten Konflikt :) 

 

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