Ohne Muster keine Organisation

19.05.2021

Wiederkehrende Muster und Strukuturen organisieren die Zusammenarbeit in sozialen Systemen und sind unerlässlich. Doch was tun, wenn eingefahrene Muster eine benötigte Weiterentwicklung blockieren? Im Podcast "Projekt-Safari" von und mit Mario Neumann berichtet Holger Schlichting von Beispielen aus dem systemischen Beratungsalltag.

 

 

Organisationen sind soziale Systeme, die sich über Kommunikation organisieren - also ihre Handlungen abstimmen. Jedes neu auftauchende Ereignis wie z.B. eine Kundenanfrage muss bearbeitetet oder ignoriert werden. Wenn sich die Bearbeitung oder das Ignorieren (vermeintlich) bewähren, führt das dazu, dass die Organisation sich das "merkt" und für die erneute Bearbeitung die passenden Strukturen ausbildet.

Diese konkreten Strukturen sind Einschränkungen der Möglichkeiten. Anders kann es nicht funktionieren, da der Kommunikationsaufwand sonst nicht zu bewältigen wäre. Denn wenn wir jedes Mal fragen müssten, wer was entscheidet, worum es sich überhaupt dreht, ob das Produkt nicht doch anders sein könnte und nicht doch jemand anders die Arbeit erledigen sollte, würde nichts funktionieren.

Doch selbst in chaotischen sozialen Systemen - seien es Familien, Wandergruppen oder Firmen - lässt sich etwas beobachten, was man zu Recht als das Erfolgskonzept des Homo Sapiens bezeichnen kann: über Versuch und Irrtum entstehen nämlich in kürzester Frist verlässliche Erwartungen in das Verhalten der anderen. Sie (die anderen) reagieren meist so und nicht anders, weil es sich bewährt, weil es einfacher ist und man nicht jedes mal neu Energie aufwenden muss, um etwas neu zu denken oder zu verhandeln. Und nach kurzer Zeit bildet sich eine "Pfadabhängigkeit". Das heißt, dass auf der Grundlage des bisher Strukturierten nun bestimmte Ereignisse, Strukturen und Muster wahrscheinlicher werden als andere. Das kann man dann, wenn es wiedererkennbar wird, als Identität der Organisation bezeichnen. Diese liefert dann Vorlagen, wie man "bei uns die Dinge angeht".

Muster sind also unerlässlich. Sie strukturieren die Handlungen und Entscheidungen jedes Organisationsmitglieds und koordinieren das Zusammenspiel mit anderen, ohne dass man dann noch viel sagen muss. Jedes Muster und jede Entscheidungsroutine in Organisationen kann jedoch so starr werden, dass sie auch dann noch ausgeführt wird, wenn sie damit das langfristige Überleben des Systems gefährdet.

Von Außen meint man oft, das klar erkennen zu können. Der Beobachter einer Führungs- und Zusammenarbeitssituation vergisst jedoch all zu schnell, dass die jeweilige Firma mit diesem Muster bis heute funktioniert. Es gibt immer mehr Bewahrenswertes, als ein vorschneller Ratgeber denken würde. Und selbst wenn es jemand von Außen besser wüsste: die Rationalität der jeweiligen Organisation (ja, es gibt nicht nur eine) ist eben eine andere.

Ein systemischer Organisationsberater ist wertschätzender Rahmengeber für die Reflexion blinder Flecken und die Schaffung neuer Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten. Er kann nur wirksam werden, wenn er "anschlussfähig" an die jeweilige Systemrationalität ist und anerkennt, dass die bisherigen Strukturen, Muster und Routinen für den Bestand der jeweiligen Organisation gesorgt haben. Denn bei aller Veränderungseuphorie: Bestand ist die Leistung, Veränderung ist der "Normalzustand".

Die Gratwanderung des systemischen Beraters, aber auch des internen Projektleiters, ist deshalb, für passende "Störungen" zu sorgen, die nicht alle Muster unterbrechen oder abschaffen sollen, sondern sozusagen minimalinvasiv nur diejenigen indentifizieren, die mehr schaden als nutzen. In diesem Podcast wird anhand eines konkreten Beispiels ein solcher Entwicklungsprozess beschrieben.

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