Die Crux mit der Kulturentwicklung

Warum echter Wandel der Unternehmenskultur bei der Führung beginnt

Denken Sie auch zuerst an anderes Verhalten - und zwar an anderes Verhalten der Anderen -, wenn Sie an Kulturentwicklung denken? 

Dann geht es Ihnen wie den meisten von uns. Wir finden unser Verhalten, unsere Werte, unser Art Dinge zu tun (zumindest) ganz in Ordnung, meistens eher gut. Und es fällt uns eher Verhalten von Anderen auf, das nicht (mehr) passend ist.

Kulturentwicklung in Unternehmen ist eines der meistgenannten, aber am wenigsten verstandenen Themen in Veränderungsprozessen. Wenn von „neuer Unternehmenskultur“ die Rede ist, denken viele an sichtbare Verhaltensänderungen – meist bei den anderen. Doch Kulturveränderung bedeutet weit mehr, als Mitarbeitende zu neuem Verhalten zu motivieren. Sie betrifft das Fundament, auf dem Organisationen handeln, kommunizieren und entscheiden. 

Kulturentwicklung verstehen – mehr als gutes Verhalten

Kultur zeigt sich im alltäglichen Handeln, in Routinen, Entscheidungswegen und unausgesprochenen Erwartungen. Wir alle halten unser eigenes Verhalten für weitgehend passend. Auffällig wird meist das Verhalten der anderen. Diese Perspektive führt dazu, dass sich alle gegenseitig Veränderung wünschen, ohne die eigenen Muster zu hinterfragen.

Genau hier liegt die Crux: Jede:r denkt, die anderen müssten sich ändern. Von Führungskräften initiierte Kulturinitiativen laufen deshalb häufig ins Leere, wenn die Initiator:innen nicht selbst bereit sind, sich zum Gegenstand der Beobachtung und des Lernens zu machen.

Führung als Hebel für Kulturwandel

Kulturelle Entwicklung beginnt immer oben. Führungskräfte repräsentieren die bestehende Kultur – und zugleich die gewünschte neue. Sie prägen mit ihren Entscheidungen, Prioritäten und Kommunikationsformen das, was im Unternehmen als „normal“ gilt. Wenn die Führungsmannschaft sich als Lernteam begreift, entsteht eine Dynamik, die echtes Lernen und Veränderung ermöglicht.

Zentrale Fragen zum Kulturwandel für Führungsteams sind:

  • Wie haben wir die bisherige Kultur stabilisiert?
  • Welche unbewussten Regeln und Rituale prägen unser Miteinander?
  • Was haben wir selbst zu den bestehenden Mustern beigetragen?
  • Welche Zuschreibungen erhalten wir von Mitarbeitenden – und welche möchten wir künftig erzeugen?

Solche Reflexionen öffnen den Raum für neue Zuschreibungen, für andere Erwartungen und letztlich für neue Formen der Zusammenarbeit. Kulturveränderung geht nur über Bande. Nicht das Verhalten der Mitarbeiter:innen versuchen zu ändern, sondern Verhältnisse ändern, um anderes (gewünschtes) Verhalten wahrscheinlicher zu machen. 

Kulturveränderung braucht systemisches Denken

Kultur ist kein isoliertes Phänomen, sondern das Ergebnis vieler Wechselwirkungen im sozialen System. Deshalb lässt sie sich nicht direkt verändern – schon gar nicht durch Appelle, Trainings oder Leitbilder. Kulturwandel gelingt nur über Bande: durch die bewusste Gestaltung von Strukturen, Prozessen und Kommunikationswegen, die gewünschtes Verhalten wahrscheinlicher machen.

Ein systemischer Ansatz zur Kulturentwicklung fragt nicht: „Wie bringen wir Mitarbeitende dazu, sich anders zu verhalten?“
Sondern: „Wie können wir die Rahmenbedingungen so gestalten, dass neues Verhalten sinnvoll und anschlussfähig wird?“

Dazu gehören:

  • Entscheidungsprozesse, die Beteiligung ermöglichen
  • Kommunikationsformate, die Dialog statt Rechtfertigung fördern
  • Führungsinstrumente, die Orientierung geben statt Kontrolle
  • Räume, in denen Reflexion und Lernen Teil des Alltags werden

Wenn sich diese strukturellen Elemente verändern, verändert sich auch die Kultur – langsam, aber nachhaltig.

Praxisbeispiel: Kulturentwicklung durch Führungsreflexion

Ein mittelständisches Unternehmen wollte seine Kultur „innovativer und offener“ gestalten. Anfangs lag der Fokus auf Trainings für Mitarbeitende. Doch schnell zeigte sich: Die Veränderung stockte. Erst als das Führungsteam begann, über seine eigene Entscheidungslogik zu sprechen und Muster wie „Wir müssen alles absichern“ zu hinterfragen, entstand Bewegung. Kleine strukturelle Veränderungen – etwa neue Kommunikationsroutinen und Entscheidungskriterien – führten zu spürbaren Veränderungen im Alltag. Das Verhalten der Mitarbeitenden passte sich an, ohne dass es gefordert wurde.

Widerstände verstehen statt bekämpfen

In Kulturprozessen treten regelmäßig Spannungen und Widerstände auf. Diese sind kein Zeichen von Scheitern, sondern Ausdruck stabiler Systeme, die gelernt haben, sich zu schützen. Systemisch betrachtet geht es nicht darum, Widerstände zu brechen, sondern sie zu verstehen: Welcher Nutzen steckt im bisherigen Muster? Was würde verloren gehen, wenn wir es ändern? Diese Fragen helfen, Veränderungsenergie gezielt freizusetzen.

Kulturentwicklung und Unternehmensstrategie gehören zusammen

Kulturwandel darf nicht als „weiches Thema“ neben der Strategiearbeit laufen. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Strategische Entscheidungen bleiben wirkungslos, wenn sie kulturell nicht getragen werden. Umgekehrt scheitern kulturelle Initiativen, wenn sie keinen strategischen Bezug haben.

Eine wirksame Kulturentwicklung setzt deshalb an der Schnittstelle von Strategie, Struktur und Sinn an. Systemische Organisationsentwicklung schafft genau diese Verbindung. Sie berücksichtigt die formalen Strukturen ebenso wie die informellen Dynamiken, die jedes Unternehmen prägen.

Der Nutzen einer systemischen Kulturentwicklung

Unternehmen, die ihre Kultur systemisch entwickeln, profitieren auf mehreren Ebenen:

  • Höhere Anpassungsfähigkeit: Teams können auf Veränderungen schneller reagieren.
  • Bessere Zusammenarbeit: Kommunikation wird offener, Konflikte werden bearbeitbar.
  • Stärkere Mitarbeiterbindung: Sinn, Vertrauen und Beteiligung fördern Engagement.
  • Nachhaltige Veränderung: Statt kurzfristiger Kampagnen entsteht langfristiges Lernen.

Kulturentwicklung ist damit kein Projekt, das irgendwann abgeschlossen ist, sondern eine dauerhafte Führungsaufgabe.

Fazit: Kulturveränderung ist Führungsarbeit

Echte Kulturentwicklung gelingt nur, wenn Führungskräfte bereit sind, sich selbst als Teil des Systems zu reflektieren. Sie müssen Strukturen schaffen, die Lernen und Veränderung ermöglichen, statt Verhalten zu sanktionieren. Das erfordert Mut, Offenheit und eine systemische Sicht auf Organisationen.

Nicht das Verhalten der Mitarbeitenden steht im Zentrum, sondern die Veränderung der Verhältnisse, die Verhalten prägen. So entsteht eine Kultur, die sich selbst weiterentwickelt – von innen heraus und mit nachhaltiger Wirkung.

Leider eine ziemlich antiintuitive Vorgehensweise.