Die fünf Führungsstile und wie sie Agilität fördern oder ausbremsen

19.02.2020

Das Gelingen einer agilen Unternehmenskultur hängt eng damit zusammen, welcher Führungsstil in einem Unternehmen vorherrschend ist. Wir arbeiten häufig mit einem fünfstufigen Modell aufeinander aufbauender Führungsstile. Die Annahme ist, dass alle beherrscht werden müssen. Doch nur die zwei oberen Stufen bieten den nötigen Rahmen, um agile Arbeitsstrukturen einführen zu können.

Die fünf Führungsstufen

Es gibt unterschiedliche Modelle, die das Thema Führungsstufen abbilden. Sehr hilfreich finde ich das Modell von Stefan Merath, auf das ich mich im weiteren Verlauf des Artikels beziehe:

  1. Führen mit Zwang
  2. Führen über Prozesse und Aufgaben
  3. Führen mit Zielen
  4. Führen mit flexiblen Zielen und Selbstmanagement
  5. Emotionales Führen mit Sinn

Führen mit Zwang

„Führung mit Zwang“ schreibe ich in Anführungszeichen, denn es geht hier natürlich nicht um Leibeigenschaft wie im Mittelalter. Doch wenn Mitarbeitende Anweisungen und Regeln nicht befolgen, sollte es in irgendeiner Form Eskalationsstufen geben, die die Möglichkeit bieten, Druck auszuüben. Das wiederum erfordert auch die Bereitschaft der Führungskraft, Konsequenzen aus Verhalten zu ziehen. Das ist eine wesentliche Führungsvoraussetzung; wird aber von manchen Führungskräften halbherzig bis gar nicht eingesetzt. Was wiederum zu Demotivation bei anderen Mitarbeitenden und Ansehensverlust der Führungskraft führt. Wenn bei Führungskräften die konsequente Bereitschaft bzw. Möglichkeit zur Einforderung von Regeln bis zum Ausüben von „Zwang“ fehlt, entstehen „organisierte Anarchien“ und dann sind die weiteren Prozessstufen nur bedingt effizient oder gar nicht zu erreichen.

Führen über Prozesse und Aufgaben

Der nächste Führungsstil wurde spätestens im Taylorismus als besonders leistungsfähig erkannt, nämlich das Führen über Prozesse und Aufgaben. Die Führung definiert kleinteilig Prozesse, wer, wo, wie, wann, was macht, koordiniert das und gibt den einzelnen Leuten Aufgaben. Das funktioniert sehr gut, wenn es einfache Aufgaben sind. Gleichzeitig führt es dazu, dass der Mitarbeiter etwas ausführt, ohne mitzudenken – mit den entsprechenden möglichen Folgen.

Führen mit Zielen

Der nächste Führungsstil ist nach Peter Drucker, dem Management-Vordenker und Autor von Management by Objectives, das Führen über Ziele. Man aktiviert und appelliert an die Eigenverantwortung und Selbststeuerungsfähigkeit der Mitarbeiter und setzt in der Regel zusätzlich materielle Anreize. Das erfordert natürlich auch einen anderen Ausbildungs- und Haltungshintergrund der Mitarbeiter, funktioniert aber im Prinzip mit einem gewissen Vertrauen, einer Befähigung und der passenden Mitarbeiterauswahl einigermaßen gut. Wobei wir in der Praxis ganz häufig feststellen, dass solche Zielsysteme zu starr sind bzw. der Anpassungsaufwand innerhalb einer Zeitperiode zu hoch wäre und deshalb nicht vorgenommen wird. Das passiert, wenn sich Ziele zu häufig ändern oder wenn sie zu schnell erreicht sind, so dass Mitarbeitende die Arbeit einstellen. Sind Ziele nicht erfüllbar, weil sie z.B. zu hochgesteckt wurden, dann ist Demotivation die Folge.

Führen mit flexiblen Zielen und Selbstorganisation

Wegen der fehlenden schnellen Anpassungsfähigkeit von klassischen Zielvereinbarungen ist man in herausfordernden, komplexen Umgebungen mit einem hohen Anteil von Wissensarbeitern zur nächsten Stufe übergegangen: Führen mit flexiblen Zielen und Selbstorganisation. Gelungene Einführungen agilen Arbeitens mit Scrum und Kanban etc. sollten an dieser Führungsstufe ansetzen. Entscheidend ist hier neben dem Beherrschen der Tools viel Vertrauen der Führung in Mitarbeitende und Prozess. Durch die Arbeit mit ständigen Zielverschiebungen in kleinen iterativen Stufen ist aber häufig der Blick auf den übergeordneten Sinn und den Menschen mit seinen Emotionen nicht mehr ausreichend gegeben. Agilität, ganz funktional gesehen, ist durchaus ein System, das hohen sozialen Druck erzeugt. Hier wird die soziale Kontrolle vor allem durch die eigenen Kollegen eingesetzt, um die Mitarbeiter bei der Arbeit zu halten, was viel effizienter sein kann, als die Kontrolle durch einen Chef.

Emotionales Führen mit Sinn

In der fünften Ebene gehen wir von einer emotionalen Führung mit Sinn aus. Das Management schafft den Rahmen für die besten Emotionen. Dabei hat das Management drei zentrale Zielfelder: Erstens nach innen in die Organisation gerichtet das Vertrauen untereinander zu stärken und die Begeisterung und die Energie, miteinander zu arbeiten, zu halten. Zweitens die Liebe zu den Kunden zu betonen und darauf zu achten, dass der Beitrag gesehen wird, den die Organisation für den Kunden leistet. Und zwar immer mit dem Gedanken, den Wertbeitrag für den Kunden vor den Profit zu setzen. Der Profit ist eine Folge davon und kommt aus dem Bestreben, den besten Kundennutzen zu schaffen. Und drittens eine positive und zukunftsorientierte Lebenseinstellung, um die Zukunft in vielfacher Weise zu antizipieren, Entscheidungen zu treffen, Investitionen zu tätigen und eben auch Lernen zu organisieren. Nicht nur an der Spitze, sondern an und in der gesamten Organisation.

Warum die Führungsspitze so wichtig für den Erfolg von agiler, selbstverantworteter und sinnorientierter Arbeit ist

Wenn ich in Beratungsgesprächen von diesen fünf Stufen erzähle, dann kommt als Reaktion „Dann nehmen wir Stufe 4 oder 5!“. Der springende Punkt ist aber, dass alle Stufen in einem Unternehmen vorkommen müssen und man die Stufen 4 und 5 nicht einfach beschließen kann. Natürlich braucht es auch Aufgabenorientierung wie in Stufe 2 und man muss immer das (letzte) Mittel haben, mit Zwang führen zu können. Wenn eine Organisation noch nicht einmal reif ist, mit Zielen geführt zu werden, dann ist die Idee, agiles Arbeiten mit flexiblen Zielen und Selbstorganisation einzuführen, häufig ein sehr steiniger und mühseliger Weg, weil erfahrungsgemäß auch die Führung nicht ohne weiteres in Stufe 4 führen kann und die mühsam eingeführten agilen Strukturen konterkarieren wird.

Das hängt natürlich mit dem bisherigen Erfahrungshintergrund, den Führungstools und dem Führungsverständnis von Führungskräften zusammen. Manche haben Schwierigkeiten, vom reinen Führen mittels Aufgaben und Prozessen loszulassen, weil das Vertrauen in sich und die Mitarbeitenden fehlt. Das heißt, die Reflexion darüber, an welchem Punkt sich eine Organisation befindet und welcher Führungsstil von der Führungskraft praktiziert wird, ist eine wesentliche Voraussetzung, um einen Veränderungsprozess zu managen.

Da wir auch als Strategieprozess begonnene Veränderungsprojekte mit agilen Frameworks umsetzen, ist es genau an diesem Punkt wichtig, Agilität nicht einfach nur als Tool zu sehen, sondern gekoppelt mit einem tieferen Führungsverständnis einer Organisation. Mit der Bereitschaft, darauf zu achten, dass man dafür entweder bestimmte Menschen mit einer bestimmten Haltung braucht, beziehungsweise dafür Zeit und Raum zur Entwicklung einräumen sollte.

Die Arbeit mit dem Topmanagement und ein Coaching der Führungskräfte ist deshalb in Veränderungsprozessen sehr wichtig. Denn die Führungsspitze kann mit ihrem Verhalten jede Veränderung jederzeit ausbremsen. Wenn sie mit ihren Entscheidungen unbewusst dem Veränderungsprozess genau zuwiderlaufende Statements oder Entscheidungen kommuniziert, dann ist sie ungewollt Saboteur und praktiziert de facto mehr Widerstand in der Organisation als die Mitarbeitenden, auf die üblicherweise geschaut wird. Die Veränderungsenergie, auch für sich selber, sollte von der Führungsspitze ausgehen und höher sein als beim Rest der Organisation. Nicht umgekehrt. Auch wenn es darum geht, agile Strukturen einzuführen.

Autor: Holger Schlichting in Zusammenarbeit mit Bartosz Czaja

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