Agilität ist (k)ein Allheilmittel

Für sehr viele ist Agilität aktuell DAS Allheilmittel zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit, für manche aber immer noch die Bedrohung von Stabilität und Effizienz.

Auch in unseren Projekten geht es oft um Agilität und wir werden gefragt, wie PRAXISFELD eigentlich dazu steht. Wenn wir das Thema nicht als relevant erachten würden, dann würden wir das auch nicht in unseren Beratungen, Seminaren und Weiterbildungen als Thema anbieten.

Agilität kann aus unserer Sicht einen wichtigen Beitrag zur Lösung aktueller Herausforderungen bieten, aber sie ist kein Allheilmittel.

Was ist Agilität?

Der Versuch, kurz zu beschreiben, was Agilität eigentlich ist, kann leicht schief gehen. Da es natürlich verschiedene Definitionen und Ansichten gibt. Dennoch ein kurzer Gedanke dazu, was ich durch meine Praxiserfahrung im Kopf habe, wenn ich hier über Agilität schreibe:

  1. Agilität beschreibt aus meiner Sicht die Fähigkeit von Personen und Organisationen, flexibel zu sein bezogen auf Aufgabenverteilung, Prozesse, Produkte u.ä., wenn veränderte Rahmenbedingungen dies sinnvoll erscheinen lassen.
  2. Agilität bedeutet außerdem, sich immer parallel am nächsten notwendigen Arbeitsschritt UND am großen Ziel zu orientieren.
  3. Und Agilität erfordert zudem die Fähigkeit, regelmäßig zwischen operativem Tun und dem Reflektieren dieses Tuns zu wechseln, denn das ist notwendig, um die beiden erstgenannten Punkte überhaupt umsetzen zu können.

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass Agilität nur sinnvoll ist, wenn sie reflektiert zum Einsatz kommt. Oder besser: Die Arbeit auf Grundlage agiler Frameworks wie OKR, Scrum, Kanban (jeweils in Reinform oder kombiniert und inspiriert aus diesen und anderen methodischen Ansätzen) ist an manchen Stellen sehr sinnvoll und wirksam, an anderen mindestens überflüssig, vielleicht sogar kontraproduktiv. Es geht also bei Agilität keinesfalls darum, Dinge einfach immer mal wieder anders zu machen und lustorientiert heute mal für diese, morgen mal für jene Aufgabe zuständig zu sein.

Agiles Arbeiten ist vor allem in Bereichen sinnvoll, in denen die Antwort noch nicht bekannt ist, in denen Neues entwickelt werden muss, in denen sich Kontext und Anforderungen verändern und in denen immer wieder gemeinsam geprüft werden muss, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist. Damit meine Gedanken nicht zu kritisch wirken, sei hier auch gesagt, dass der Anteil dieser Bereiche im Zeitalter der Digitalisierung und allen damit zusammenhängenden Auswirkungen natürlich rapide steigt. Gerade bei großen Projekten und langfristigen Prozessen weiß man heute in vielen Branchen nicht, wie die Welt rundherum aussieht, wenn man am Ende angelangt ist. Und hier ist es natürlich sinnvoll, regelmäßig nach rechts und links zu schauen, Erkenntnisse zu sammeln und den Plan zu überprüfen. Die Tatsache, dass dieser Bereich größer wird, ist der Grund dafür, dass agile Ansätze (richtigerweise) gerade so boomen.

Agiles Vorgehen in Changeprozessen verändert alte Denkweisen

In unseren Strategie-, Entwicklungs-, Kultur- und Zukunftsprozessen ist es immer so, dass wir mit dem Kunden zusammen in den Bereich neuer und zunächst unbekannter Ideen und Szenarien vordringen. Deshalb ist unser Vorgehen immer agil, mindestens in der Grundhaltung, dass Entwicklungsprozesse in Organisationen immer schrittweise und iterativ erfolgen, zunehmend aber spätestens ab dem Moment des Ausprobierens von neuen Vorgehensweisen auch eng orientiert an agilen Frameworks und den sich daraus ergebenden „Regeln“. So unterscheiden wir z. B. zwischen strategischer, taktischer und operativer Ebene in Veränderungsprozessen und organisieren die entsprechenden Settings, die diese Ebenen reflektierend verbinden.

Inwieweit sich diese agilen Arbeitsweisen dann in Folge auch im Alltag der Organisation etablieren, ist dann unter anderem sehr branchenabhängig. Sicher ist auf jeden Fall, dass der agile Veränderungsprozess am Mindset der Organisation arbeitet und das ist – neben dem Kennen und Üben von agilem Vorgehen in methodischer Sicht – eine Grundbedingung dafür, dass agiles Arbeiten im Alltag der Organisation funktioniert. Ganz sicher entsteht eine Haltung die deutlich macht, dass es sinnvoll ist nie nur gedankenlos „abzuarbeiten“, sondern immer mal wieder auch darüber nachzudenken, ob das Vorgehen so noch richtig ist.

Agilität funktioniert nicht überall

Trotz aller Vorteile ist Agilität keine Lösung für alle Situationen in einem Unternehmen. Jede Organisation hat Bereiche, die durch stabile, klar definierte und wiederkehrende Prozesse erfolgreich sind – und gerade deshalb nicht ständig verändert werden sollten.

Das gilt überall dort, wo Zuverlässigkeit, Fehlerfreiheit und Geschwindigkeit entscheidend sind. Typische Beispiele sind:

  • Administrative Abläufe

  • Buchhaltung und Finanzen

  • Standardisierte Produktionsprozesse oder Dienstleistungen

Natürlich lohnt es sich auch in diesen Bereichen, regelmäßig zu prüfen, ob die bestehenden Prozesse noch sinnvoll und effizient sind. Doch hier steht Optimierung im Vordergrund – nicht ständige Veränderung.

Möchtest du, dass ich es anschließend mit deinen vorherigen Texten zu einem zusammenhängenden Kapitel über Agilität und Ambidextrie verbinde (z. B. für eine Broschüre oder einen Website-Artikel)?

Aber damit sind wir noch weit entfernt von Agilität, wie sie in der Regel verstanden wird. Und diese Denkaufgabe betrifft dann auch nicht jeden Mitarbeitenden im Arbeitsalltag, sondern zunächst vor allem Führungskräfte und das Management. Das heißt nicht, dass man als Mitarbeitender nicht (mit)denken sollte und das auch erlaubt und gewünscht sein sollte. Aber in solchen Bereichen ist es auch in Ordnung, auf möglichst wenig Störung, hohes Tempo und all das zu achten, was dort eben zählt. Hier auf Agilität zu setzen würde vor allem Prozesse verlangsamen und aufhalten, statt sie besser zu machen. Anders als in den oben beschriebenen Feldern, in denen gerade die agile Vorgehensweise am Ende zum passendsten Ergebnis führt, auch wenn und gerade weil Zeit für regelmäßige Reflexion eingesetzt wurde.

Ambidextrie - das Wechselspiel zwischen Innen- und Außenschau

Unausweichlich kommt einem hier auch ein anderer Begriff in den Sinn, dem man zurzeit an jeder Ecke begegnet. Das ist die Ambidextrie. Ambidextrie beschreibt genau die Tatsache, dass es in jeder Organisation Bereiche gibt, in denen es um Effizienz, Reproduktion und Optimierung geht (Exploitation) und Bereiche, in denen die Weiterentwicklung, das Ausprobieren und das Beobachten der Entwicklungen außerhalb der Organisation, z.B. beim Kunden im Fokus stehen (Exploration).

Ein entscheidender Hebel für die Zukunftssicherung einer Organisation liegt in der bewussten Balance zwischen Exploration und Exploitation. Diese Balance erfordert immer wieder neue Entscheidungen: Wo lohnt sich ein agiles Vorgehen – und wo nicht?

Das Verhältnis beider Seiten hängt stark von Branche und Produkt ab. Manche Organisationen sind gut beraten, Exploration – also das Entdecken neuer Wege – vor allem spezialisierten Abteilungen oder dem Management zu überlassen. Andere wiederum müssen gezielt darauf achten, überhaupt noch Bereiche der Exploitation, also der kontinuierlichen Optimierung, zu bewahren.

Beide Dimensionen greifen auch bei der Nutzung agiler Methoden ineinander: Einerseits werden Prozesse gelernt, gelebt und verbessert (Exploitation), andererseits dienen sie als Grundlage, um fortlaufend neue Ideen und Möglichkeiten zu entdecken (Exploration).

Agiles Arbeiten verändert hierarchische Strukturen

Ambidextrie ist – ebenso wie Agilität – deshalb so stark im Trend, weil beide Konzepte Erklärungs- und Lösungsansätze bieten, die das Überleben und den Erfolg von Organisationen im digitalen Zeitalter sichern können.

Oft wird diese eigentliche Ursache übersehen. Stattdessen wird Agilität häufig vor allem mit humanistischen Argumenten verknüpft – etwa mit Mitarbeiterfreundlichkeit oder Arbeitgeberattraktivität. Der Gedanke: Endlich werden Mitarbeitende ernst genommen und können sich nach eigenem Interesse, mit mehr Freiheit und Wahlmöglichkeiten, in die Organisation einbringen.

Diese Aspekte sind zweifellos positive Effekte agiler Arbeitsformen – aber sie sind nicht die zentrale Ursache für ihre Verbreitung. Es wäre ein Trugschluss anzunehmen, dass Agilität ausschließlich aus Mitarbeitersicht vorteilhaft ist oder nur aus diesem Grund zum Erfolgsfaktor geworden ist.

Agiles Arbeiten: Freiheit braucht Verantwortung

Im Gegensatz zu der oft romantisierten Vorstellung verlangen agile Vorgehensweisen den Mitarbeitenden sehr viel ab.

1. Ständige Selbstreflexion und Ausrichtung
Agiles Arbeiten bedeutet, das eigene Handeln immer wieder auf Basis der übergeordneten Ziele und Strategien der Organisation zu hinterfragen und anzupassen. Diese kontinuierliche Justierung erfordert Eigenverantwortung, Disziplin und strategisches Denken.

2. Hohe Transparenz und gegenseitige Kontrolle
Agile Teams arbeiten mit einem hohen Maß an Sichtbarkeit und Offenheit. In regelmäßigen Treffen – etwa am Kanban-Board – wird gemeinsam überprüft:

  • Welche Aufgaben wurden erledigt?

  • Welche Erkenntnisse sind entstanden?

  • Welche nächsten Schritte stehen an?

Damit wird die eigene Arbeit so transparent wie nie zuvor – auch ohne direkte Anwesenheit einer Führungskraft. Kontrolle und Steuerung entstehen innerhalb des Teams, nicht mehr durch Hierarchie. Agile Arbeitsweisen schaffen keine Rückzugsräume, in denen man „einfach mal in Ruhe sein Ding macht“. Stattdessen entsteht eine neue Form von Kontrolle – durch das Team selbst. Dieses Maß an Transparenz kann keine klassische Hierarchie leisten.

Agilität als Beitrag zur Zukunftsfähigkeit

Trotz – oder gerade wegen – ihrer hohen Anforderungen leisten agile Ansätze einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg und zur Zukunftsfähigkeit von Organisationen.

Wenn sie richtig umgesetzt werden, ermöglichen sie eine kontinuierliche Neuausrichtung am tatsächlichen Ergebnis – statt an starren Jahreszielen, die oft längst überholt sind.

Diese Denk- und Arbeitsweise als Mehrwert für Mitarbeitende zu etablieren und den gemeinsamen Sinn dahinter zu entdecken, ist jedoch kein Selbstläufer. Es ist ein Prozess, der Zeit braucht – und zwar für alle Beteiligten, einschließlich der Führungskräfte.

Mit der Ansage „Wir müssen jetzt mal agiler werden!“ allein ist auf jeden Fall noch nichts gewonnen. Aber es lohnt sich, sich in diese Richtung auf den Weg zu machen.