Die Online-Fallberatung

30.03.2020

Gerade jetzt in einer Zeit täglich neuer Herausforderungen und virtueller Zusammenarbeit ist es wichtig, Formate zu haben, die es ermöglichen, im Arbeitsalltag gemeinsam konstruktiv an Themen zu arbeiten, statt jeden Einzelnen mit seinen Themen auf sich gestellt zu lassen. Ein solches Format ist die Fallberatung, die einen strukturierten Rahmen bietet, um herausfordernde Themen aus dem Arbeitsalltag gemeinsam zu reflektieren und durch das Einbringen verschiedener Perspektiven neue Handlungsoptionen zu entwickeln. Wie dieses wirkungsvolle 2-stündige Format auch online gelingt, berichtet Nina Teller, Senior Beraterin bei PRAXISFELD, in einem Gespräch mit Bartosz Czaja. 

Hallo Nina, schön, dass wir uns heute zu einem Format austauschen können, was wahrscheinlich durch die aktuelle Situation nicht nur neu entstanden ist, sondern auch mehr denn je Anklang findet.

Hallo Bartosz, ich starte direkt mit einem Jain. Das Format der Fallberatung führen wir bereits seit mehreren Jahren durch, zum Beispiel ist sie ein zentraler Bestandteil für Absolventen unserer Weiterbildung Systemische Organisationsentwicklung sowie für das eigene Beraternetzwerk. Der Bedarf sich zu herausfordernden Themen aus dem eigenen Arbeitsalltag auszutauschen, diese gemeinsam zu reflektieren und dadurch neue Handlungsoptionen zu entwickeln, besteht somit schon lange. Es folgt dem systemischen Prinzip, durch das strukturierte Einbringen verschiedener Perspektiven mehr zu sehen, als es alleine möglich ist. Neu ist die Übersetzung des ursprünglichen Präsenz-Formates in ein Online-Format und natürlich der steigende Bedarf an Vernetzung in der aktuellen Situation.

Was sind die Besonderheiten dieses Formates, im Gegensatz zu bekannten Trainings oder Meetings in denen man sich auch austauschen kann?

Eine Besonderheiten der Fallberatung ist zum einen, dass es keinen Themenexperten benötigt, der extra hinzugezogen werden muss. Jeder, der beruflich im gleichen Kontext arbeitet, kann durch seine Perspektive wesentliche Beiträge beisteuern. Teilnehmerkreise bilden dabei zum Beispiel Personen aus einem Berufszweig, interne Abteilungen oder Projektteams. Des Weiteren ist der zeitliche Rahmen, meist zwei Stunden, im Arbeitsalltag integrierbarer, als Tagesworkshops oder -trainings und durch die klar vorgegebene Struktur und Rollenverteilung einer Fallberatung werden zähe oder gar endlose Diskussionen ohne Ergebnis vermieden. Eine Fallberatung endet immer mit konkreten Ideen für die nächsten Schritte des jeweils von den Teilnehmenden selbst vorgeschlagenen und ausgewählten Themas. Die Inhalte sind damit maximal individuell passend für die Teilnehmenden.

Letzte Woche wurde dieses Format der Fallberatung, bedingt durch die Corona-Krise, erstmals online durchgeführt. Das war schon eine Besonderheit.

Genau. Normalerweise sitzen die Teilnehmenden inklusive Moderator*in in einem Kreis und arbeiten im Plenum sichtbar mit Arbeitsmaterialien wie Flipcharts und Co an den ausgewählten Themen. Wir haben es geschafft, dieses Format, welches ein hohes Maß an Individualität und Interaktion aufweist, erfolgreich online durchzuführen. Dies erfreut uns, da es ein weiteres digitales Angebot unsererseits bildet, neben den bereits angebotenen Online-Workshops, digitaler Beratung und Coaching sowie Webinaren. Von den Teilnehmenden haben wir sehr positive Rückmeldung erhalten.

Was war die größte Schwierigkeit bei der Übersetzung des eigentlichen Präsenz-Formates in ein Online-Format?

Die Schwierigkeit dabei war es, einen strukturierten Austausch trotz räumlicher Distanz zu einem nicht im Vorfeld vorbereitbaren Thema zu realisieren. Denn die Themen, an denen in der Fallberatung gearbeitet wird, werden von den Teilnehmenden eingebracht. Damit ist gewährleistet, dass maximal viel Energie für die gemeinsame Bearbeitung besteht, dadurch, dass die Themen „brennen“ und relevant für den eigenen Arbeitsalltag sind. Ebenso ist die Rolle des Moderators entscheidender denn je, da die Tatsache, dass man nicht in einem Raum zusammensitzt, ein hohes Maß an Disziplin und Struktur benötigt. Und auch die Umsetzung gemeinsamer Visualisierungsmöglichkeiten war eine der Herausforderungen der Übersetzung des Konzeptes.

Wer kam zu der durchgeführten Online-Fallberatung zusammen und wie viele Personen haben teilgenommen?

Der Teilnehmerkreis bestand aus 18 Personen, die alle in ihrer Berufspraxis mit Organisationsberatung zu tun haben.

Wie sah die Durchführung aus?

Alle Teilnehmenden wurden per Mail mit einem Link eingeladen. Da nicht alle Teilnehmenden Erfahrungen im Umgang mit dem gewählten Online-Tool hatten, haben wir im Vorfeld einen kurzen Leitfaden sowie eine Kontaktnummer für technische Fragen mitgeschickt. Dies hat sich in unserer Erfahrung mit Online-Formaten bereits als sehr hilfreich erwiesen. Durch die Fallberatung hat eine Moderation geleitet und im Hintergrund stand jederzeit über den Chat oder im Vorfeld auch telefonisch ein technischer Support bereit.

Inhaltlich wurde nach einer gemeinsamen Begrüßung eine kurze Übersicht zum Verlauf gegeben und anschließend fand eine gemeinsame Bedienungsanleitung der wichtigsten Funktionen statt. Diesen Part bieten wir bei unseren Online-Formaten je nach Kenntnisstand auch im Vorfeld per Kurzschulungen für die Teilnehmenden an.

Der Hauptteil der Fallberatung startet immer mit der Sammlung von aktuell „brennenden“ Fällen der Teilnehmenden, für die mögliche weitere Lösungswege gesucht werden sollen. Die Teilnehmenden ordnen sich je nach persönlichem Interesse den Fällen zu, wodurch je nach Teilnehmeranzahl zielführend ein bis drei Fälle gleichzeitig bearbeitet werden können. Bei einem priorisierten Fall findet die Fallberatung im Plenum statt und in kurzen Arbeitsgruppen können Reflexionsphasen mit dem Reflecting-Team (=Beobachtern) eingebaut werden.

In unserer Durchführung wurden zwei Fälle priorisiert und die Teilnehmenden haben sich jeweils einem Fall zugeordnet. Auch online können wir es ermöglichen, dass mehrere Gruppen in sogenannten Breakout-Sessions parallel an ihren Fällen arbeiten können. Die Moderation begleitet die Gruppen in ihrem Arbeitsprozess fortlaufend und der technische Support steht weiterhin zur Verfügung. Ablauf und Rollenverteilung von Fallgeber*in, Fallberater*in und Reflecting Team sollten dabei im Vorfeld im Plenum erfolgen, damit die Gruppen reibungslos in die Reflexionsphase übergehen können.

Während der Gruppenarbeit fand die Visualisierung der Themen und erarbeiteten Ideen per Whiteboard statt, welches für die Gruppenteilnehmer*innen sichtbar geteilt wurde. Arbeitsergebnisse können so jederzeit zum weiteren Bearbeiten gespeichert und aufgegriffen werden. Der inhaltliche Prozess stellt sich am besten anhand des PRAXISFELD Prozessmodells dar, welches mit der Analyse startet und dann in die Diagnose und die Entwicklung der zentralen Herausforderung übergeht. Ziel der Arbeitsphase ist es, Kernpunkte der Herausforderung definiert und erste mögliche Lösungsschritte entwickelt zu haben. Zu jederzeit kann der Fallberater auf Perspektiven des Reflecting Teams zurückgreifen.

Nach erfolgreicher Durchführung der Gruppenphase fanden sich alle Teilnehmenden zu einem gemeinsamen Austausch im Plenum wieder und konnten in einer abschließenden Blitzlichtrunde über ihre Erfahrungen reflektieren.

Wie waren die Rückmeldungen der Teilnehmenden?

Die Rückmeldungen waren durchweg positiv. Einige Teilnehmenden hatten zuvor Skepsis, inwieweit sich das gewohnte Präsenzformat, das viel von vertrauter Atmosphäre lebt, in ein digitales Format übersetzen lässt. Diese Zweifel konnten genommen werden, da beide Gruppen sehr konstruktiv an ihren Fällen gearbeitet haben und die Fallgeber hilfreiche Impulse für ihre Arbeitspraxis mitnehmen konnten. Hilfreich wurde hierbei auch das Timeboxing der Gruppenarbeit rückgemeldet, da sich vor allen in den letzten Minuten die Ergebnisse verdichtet hatten. Auch die teilweise Zurückhaltung zu der Handhabung des Online-Tools konnte sich durch die gemeinsame Einführung, die Schritt-für-Schritt-Anleitung und die strukturierte Moderation inklusive der Unterstützung des technischen Supports in Freude und Offenheit gegenüber der virtuellen Zusammenarbeit entwickeln. Im Plenum gab es einheitlich Lust auf mehr.

Was sind die größten Unterschiede von Präsenz-Fallberatung und Online-Fallberatung?

Ich würde sagen, inhaltlich und vom Ergebnis gibt es keine. Der Ablauf erfolgt in beiden Fällen nach dem PRAXISFELD Prozessmodell und auch die Rollenverteilung ist die gleiche. Ebenso ist das Schaffen einer konstruktiven und interaktiven Zusammenarbeit online möglich. Das Online-Format bietet den Vorteil der niederschwelligen Teilnahme. So hatten wir bei dieser Durchführung den größten Teilnehmerkreis im Gegensatz zu den Durchführungen an einem Ort. Auch der positive Nebeneffekt für die Teilnehmenden, sich immer mehr in der Nutzung digitaler Tools zu üben, darf sicherlich nicht außen vor gelassen werden.

Ansonsten sind bei der Durchführung online u.a. folgende Aspekte wichtig zu beachten:

  • Ungeübte Teilnehmende benötigen eine Einführung, entweder durch eine kurze Einweisung zu Beginn oder das Angebot von Kurzschulungen vorab.
  • Präsenzkonzepte lassen sich nicht einfach eins-zu-eins übertragen, sondern müssen methodisch und didaktisch auf das jeweils ausgewählte digitale Tool angepasst werden – was jedoch bei einer guten Übersetzung und Auswahl des Tools keinen Abzug in der Ergebnisqualität mit sich bringt.
  • Eine strukturierte Moderation und die Unterstützung durch eine Co-Moderation sowie technischen Support ist wichtig.

Lässt sich das Format Online-Fallberatung auch auf andere Teilnehmer-Kontexte, z.B. in Unternehmen übertragen?

Eindeutig ja. Die Fallberatung allgemein eignet sich überall da, wo Menschen Themen in ihrem Arbeitsalltag gegenübergestellt sind, bei denen sie alleine nicht weiterkommen, sie Fragezeichen haben oder sie von einer anderen Sicht profitieren können. Thematisch kann dies zum Beispiel ein Fall mit einem Kunden sein; ein Projekt was stockt oder ein Prozess, bei dem es immer wieder zu Fehlern kommt. Die Online-Fallberatung eignet sich zudem bestens für Organisationen oder Teams, in denen virtuell zusammengearbeitet wird, ob hervorgerufen durch die derzeitigen Bestimmungen oder die Verteilung auf mehrere Standorte.

Vielen Dank für den anregenden Einblick.

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